: Parole: Nach der Wahl ist vor der Wahl
Im Kölner Haus Wolkenburg spricht Franz Müntefering den hoffnungslosen Parteimitgliedern Mut für die Kommunalwahl zu. Zur Aufmunterung hat der SPD-Vorsitzende allerdings nur angestaubte Fußballerweisheiten zu bieten. Der Glaube daran fehlt
Von Pascal Beucker
Sogar der Himmel scheint ihm nicht mehr wohlgesonnen: Mitten in Franz Münteferings Rede setzt ein heftiger Platzregen ein. Die Tropfen prasseln laut gegen die Scheiben des Festsaals. Doch der SPD-Parteivorsitzende lässt sich nicht beirren. „SPD wird gebraucht“, schmettert er in das Auditorium. Und: „Nein, die sozialdemokratische Idee ist nicht zu Ende.“ Die rund 250 Genossen, die sich am Samstag Mittag im Haus Wolkenburg versammelt haben, hören‘s gerne – allein es fehlt der Glauben.
Die Stimmung bei den Domstadt-Sozis ist mies, mieser geht‘s kaum. Denn die Aussichten für den kommunalen Urnengang im September könnten nicht schlechter stehen: Erst das Desaster bei der Europawahl, und dann soll die Partei in Köln mittlerweile in der Wählergunst nur noch abgeschlagen an dritter Stelle hinter CDU und Grünen rangieren. Als Umgang mit solchen unschönen Umfragen empfiehlt Müntefering: „Schmeißt sie weg, das verärgert einen nur.“ Ja, eine „Wolkenburg“ ist schon der passende Veranstaltungsort für einen Parteichef, der sich nicht den Realitäten stellen will.
Auf Einladung der vier Kölner SPD-Bundestagsabgeordneten war Müntefering eigentlich in die Domstadt gekommen, um den örtlichen Sozis Mut zuzusprechen. Aber das Unterfangen wollte nicht recht gelingen. Wie auch, hatte der Sauerländer doch für die frustrierte Parteibasis nicht viel mehr zu bieten als angestaubte Fußballerweisheiten: „Wir sind kurz vor der Halbzeit, in der 90. Minute kann man immer noch ein Tor schießen.“ Auch Eigentore. Aber über die wollte er nicht sprechen. Denn: „Wer nur in der eigenen Hälfte spielt, kann nicht gewinnen.“
Sechzig Minuten redete Müntefering, doch zu sagen hatte er wenig. „Man weiß nicht, ob die Wahlenthaltungen Denkzettel oder Abschiedsbriefe waren“, kommentierte er die SPD-Verluste. Er hoffe jedenfalls auf ersteres. Doch welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus? Ein Umdenken? Die Rückkehr zu einer Politik der sozialen Gerechtigkeit? Nein, Augen zu und durch, lautete die schlichte Botschaft seiner Standardrede, die er so wohl ebenso in Buxtehude oder Neuendettelsau halten dürfte. „Ob wir jeden Schritt richtig machen, darüber lasse ich mit mir reden. Aber die Himmelsrichtung ist richtig.“
Müntefering scheint fest entschlossen, die Partei weiter in Richtung unter 20 Prozent zu führen. Das bekam am Samstag auch der Kölner Politikprofessor Christoph Butterwegge zu spüren. Gerhard Schröder sei „nicht nur gescheitert, er hat auch die Partei heruntergewirtschaftet“, kritisierte der Immer-noch-Sozialdemokrat in der anschließenden kurzen, fünfzehnminütigen Aussprache. Die SPD habe sich mit der in der Regierung praktizierten Politik des Sozialabbaus völlig unglaubwürdig gemacht. Aber davon wollte Müntefering nichts hören. Hatte er zuvor noch betont, er sei gar kein „Zuchtmeister“ und halte „Streitkultur für wichtig“, zeigte der Obergenosse in seiner schnarrenden Antwort, dass auch solche Aussagen bei ihm nicht mehr als einstudierte Sprechblasen sind. „Diese Schlaumerei kann ich nicht teilen“, beschied er kühl dem Professor, ohne auch nur auf eines seiner Argumente einzugehen.
So verließ um kurz vor 16 Uhr die Mehrzahl der Anwesenden reichlich ratlos die Wolkenburg. „Opposition ist Mist“, hatte ihnen ihr Chef mit auf den Heimweg gegeben. „Ein CDU-Staat würde es den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht einfacher machen“, attestierte der Kölner SPD-Bundesparlamentarier Rolf Mützenich. Ob das als Argumentation reichen wird, um bei den anstehenden Wahlen Menschen für die SPD zu gewinnen?
Vielleicht hätte es ihnen ihr Parteichef ja noch erklären können, wenn er etwas mehr Zeit gehabt hätte. Hatte er jedoch nicht. Denn schließlich gab es am Wochenende in Köln Erbaulicheres als ein SPD-Event. Und so machte Müntefering noch schnell einen Abstecher zum CSD-Straßenfest, um endlich mal wieder gut gelaunte Menschen zu sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen