der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR:
… hatte seine Tage. Schöne Tage, wie jedes Jahr, voller Farbe und lauwarmen Worten für die Sinnhaftigkeit. Als Dank für den Stöckel-Marsch übers Metropolenpflaster gab es wieder Phrasenfutter in den Medien, reportierende Zumutungen, garniert mit Politikergeschwätz und gnadenlosen Colorfotos: die journalistische Zunft kaschierte nur mühsam ihre Abneigung und Langeweile. Einmal pro Jahr, zum CSD, haben Homo-Themen Konjunktur, einmal pro Jahr immer das gleiche Repertoire.
Der Stern war besonders fleißig in dieser Saison. Online wärmte er wieder die Mär auf vom zahlungskräftigen Schwulen, den die Werbung entdeckt. Nicht nur, dass diese dpa-Klamotte so schon Wort für Wort vor drei Monaten durch die Provinzzeitungen geisterte, haben die Magazin-Macher auch noch verpasst, dass diese Geschichte längst überholt ist. Homosexuelle haben genauso wenig Geld wie der Rest der Bevölkerung, und ihr großer Auftritt als Trendsetter ist nur eine dumme Lüge der Werbewirtschaft. Die der Tagesspiegel mit Soziologen-Schmus zu garnieren weiß: „Wer am Rand steht, fordert nun seinen Platz in der Mitte – und da das nicht mit traditionell heterosexuellen Qualitäten wie Fußballspielen oder Frauengeschichten gelingt, hilft das schicke Outfit nach.“
Dem Spiegel hat es online gleich ganz die Sprache verschlagen, eine Fotostrecke musste dokumentieren, was „sich die Teilnehmer des Christopher Street Day ausgedacht haben, um ihre Aussagen körperlich zu akzentuieren“. Darauf folgte Frischfleisch für die Voyeure, nichts als Titten und Ärsche, die zweifelsohne wichtige Akzente setzen im homosexuellen Befreiungskampf.
Ganz wortreich dagegen die CSD-Verhökerer aus dem Tourismusgewerbe: „Der Höhepunkt des Jahres“, climaxt Berlin-Tourismus-Chef Hanns Peter Nerger im Tagesspiegel, denn Schwule („ausgabefreudig und reisegewohnt“), so Nerger, „genießen in ganz besonderem Maße das Leben.“ Und weil’s so schön war: „Im Übrigen interessieren sich Schwule und Lesben in ganz besonderem Maße für Kultur, Architektur und Design“, deshalb sei Berlin der Knüller für den „gay/lesbian traveller“. Außerdem haben Schwule noch eine angenehme Eigenschaft, sie schmutzen nicht: „Anders als bei der Love Parade hinterlassen die CSD-Besucher auf ihrer Marschroute nicht Berge von Müll“, wird der „Partner für Berlin“-Geschäftsführer Friedrich-Leopold von Stechow in der Berliner Morgenpost zitiert.
Wie borniert dürfen Journalisten eigentlich sein? Wenn sie nichts zu sagen haben, warum halten sie nicht einfach ihr Maul? Aber nein, in Wort und Bild schwadronieren sie drauflos. Und wie viel Feindschaft und Missachtung steckt eigentlich hinter der sich permanent wiederholenden Rede von der Homo-Kuh, die es nur ordentlich zu melken gilt? Was für ein Platz haben sich da homosexuelle Frauen und Männer in dieser Gesellschaft erworben? Geduldet dafür, dass sie viel Geld ausgeben, und umworben deshalb, damit es noch ein paar Euro mehr werden?!
„Schluss mit der Heuchelei! Gleichheit jetzt!“, hieß eine CSD-Parole in diesem Jahr, gesehen in Paris, nicht in Berlin.
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