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Die Freiheit, Steuern zu zahlen

Steuerberater, Rechtsanwälte, Journalisten und andere Selbstständige will Rot-Grün bald mit Gewerbesteuer belasten. Die freien Berufe wehren sich

„Die Trennung zwischen Gewerbetreibenden und Freiberuflern ist obsolet“

aus Berlin HANNES KOCH

Selbstverständlich geht es nicht nur ums Geld. Sondern um die gute Sache. Besonders Ärzte, Apotheker und Heilpraktiker sind darin geschult, ihr Ethos zu formulieren: Die Gesundheit des Menschen steht im Vordergrund, dann erst kommt das individuelle Interesse, mit der Praxis Gewinn zu erzielen.

Rechtsanwälte haben es schon schwerer. Doch unter dem Hinweis, den Bürgern bei der Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Rechte zu helfen, umgeben sich auch Juristen mit einem Nimbus. Kurz: Die freien Berufe, zu denen definitionsgemäß niedergelassene Ärzte, Anwälte, Architekten, aber auch freie Journalisten oder Hafenlotsen gehören, sind etwas Besonderes. „Ihre Tätigkeit orientiert sich am Gemeinwohl“, fasst Stephan Caspary zusammen. Er ist Sprecher des Bundesverbandes der Freien Berufe, der Spitzenorganisation der Branchenverbände und Kammern.

Und gerade auf diese Berufe, die irgendwie sinnvoller sein sollen als andere, hat es Rot-Grün jetzt abgesehen. Nicht nur, dass die Selbstständigen demnächst womöglich ihre Krankenkassenbeiträge zusammen mit allen anderen Beschäftigten in eine Bürgerversicherung einzahlen sollen. Nein, jetzt droht ihnen auch noch die Gewerbesteuer. Von der sind sie bislang befreit.

Heute trifft sich Bundeskanzler Gerhard Schröder mit den Spitzen der Regierung in Hannover, um den Streit um die Finanzen der Städte zu entwirren. Dabei ist die Sachlage klar: Städten und Gemeinden in Deutschland fehlen im Vergleich zu 2001 bis zu sechs Milliarden Euro. Die Steuererleichterungen für die Wirtschaft und die konjunkturelle Stagnation schlagen zu Buche. Um die Einnahmen der Städte zu steigern, will Rot-Grün deshalb die Gewerbesteuer, die bisher nur für Industrie und Handwerk gilt, auf die Freiberufler ausdehnen. In der Diskussion sind außerdem die Besteuerung bestimmter Kosten der Unternehmen (siehe Interview), eine Mindeststeuer für Firmen und die Erhöhung der Grundsteuer.

Von der Grundsteuer abgesehen, erweckt die Union bislang den Eindruck, als könne sie diese Reform im Bundesrat erheblich behindern. So hat sich der CDU-Politiker Peter Rauen, Vorsitzender der Wirtschafts- und Mittelstandsunion, bereits für die finanziellen Interessen der 761.000 selbstständigen Freiberufler mit rund zwei Millionen Angestellten stark gemacht. Diese würden durch die ausgedehnte Gewerbesteuer mit zusätzlichen Kosten in Höhe von etwa 1,3 Milliarden Euro belastet. Anstatt einzelne Berufsgruppen zu vergrätzen, will die Union den Städten zunächst einmal schlicht einen größeren Anteil des allgemeinen Steueraufkommens zugestehen. Bundesfinanzminister Hans Eichel ist mäßig begeistert, weil das seine Haushaltsprobleme vergrößern würde.

Wenn der Bundesverband der Freiberufler die neue Steuer ablehnt, steht die Gemeinwohlorientierung immer ganz oben auf der Liste der Gegenargumente. „Freiberufler sind keine Gewerbetreibenden“, heißt es da. Warum nicht? Weil zum Beispiel immer eine Apotheke im Stadtteil nachts geöffnet haben muss. Der Ausgleich für diese Sonderleistungen zugunsten der Allgemeinheit sei dann eben die Befreiung von der Gewerbesteuer. Was aber ist mit Architekten? Machen die auch Nachtdienst? Oder Steuerberater? Und selbstverständlich nutzen alle Firmen einer Stadt, egal ob Dachdecker, Arztpraxis oder Architekturbüro, die kommunale Infrastruktur in gleicher Weise: Geschäftsführer und Kunden benutzen die Straßen, ihre Kinder gehen in die öffentlichen Schulen. „Die definitorische Trennung zwischen Gewerbetreibenden und Freiberuflern ist obsolet“, sagt Ökonom Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die Folge: Wenn die Maschinenbaufirma Gewerbesteuer bezahlen muss, gibt es wenig Rechtfertigung, warum das Unternehmen für Wirtschaftsprüfung dies nicht tun sollte.

Selbstverständlich handelt es sich bei der Ausdehnung der Gewerbesteuer um eine Steuererhöhung für spezielle Berufsgruppen. Und nicht nur wirtschaftlich potente Firmen mit Dutzenden Beschäftigten werden grundsätzlich steuerpflichtig, sondern auch Einpersonenbetriebe wie die Praxis des Ergotherapeuten oder das Büro der freien Journalistin. Gerade deren von ihren Verbänden organisierte Unwilligkeit, mehr Geld an den Staat abzuführen, dürfte an Rot-Grün nicht spurlos vorbeigehen. Gehören doch die neuen Selbstständigen zu den Gruppen, auf deren Aktivitäten die Regierung ihre Zukunftshoffnungen stützt.

Freilich wird sich die zusätzliche Belastung für viele Freiberufler praktisch kaum auswirken. Denn die Gewerbesteuer kann mit der Einkommensteuer verrechnet werden. Zusätzlich zahlen müssen wahrscheinlich nur Unternehmer mit Firmenerträgen, die die Freigrenze von 25.000 Euro pro Jahr überschreiten. Relevant ist außerdem die je nach Kommune unterschiedliche Höhe der Gewerbesteuer. Ab einem Hebesatz von etwa 350 Punkten kann sie nicht mehr voll mit der Einkommensteuer verrechnet werden. Das allerdings ist in den meisten großen Städten so. Hamburg zum Beispiel hat die Gewerbesteuer bei 470 Punkten angesetzt.

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