: Moralphilosophie am Tresen
Der Suhrkamp Verlag zieht ein Buch des britisch-kanadischen Philosophen Ted Honderich zurück, nachdem Micha Brumlik ihm Antisemitismus vorgeworfen hat. Es geht dabei um den Nahostkonflikt
von STEFAN REINECKE
Es gibt zwei Geschichten in dieser Affäre. Eine handelt von Micha Brumlik, dem Direktor des Fritz Bauer Institutes zur Erforschung des Holocausts, von Jürgen Habermas und vor allem von Suhrkamp. Brumlik hat dem Verlag vorgeworfen, mit Ted Honderichs „Nach dem Terror“ ein streckenweise antisemitisches Pamphlet veröffentlicht zu haben. Der Satz, der Brumlik empört, lautet, dass „die Palästinenser mit ihrem Terror gegen die Israelis ein moralisches Recht ausgeübt haben“. Ein Skandal, so Brumlik, gerade weil Suhrkamp einen Jüdischen Verlag sein eigen nennt, Adorno, den Zionisten Gershom Scholem und den israelischen Schriftsteller Amos Oz verlegt. Micha Brumliks Wort hat Gewicht. Er ist ein linker jüdischer Deutscher, der seit zwanzig Jahren gegen den Antizionismus der deutschen Linken gekämpft hat und gleichzeitig über jeden Verdacht erhaben ist, die israelische Politik schönzufärben. Sein offener Brief wirkt gleichwohl eher eilig als dringlich: „Ich wähle diesen formlosen Weg“, schrieb er an den Verlag, „ weil ich kurz vor meinem Urlaub stehe.“ Nach Diktat verreist.
Jürgen Habermas, der dem Verlag das Buch empfohlen hatte, reagierte verstört. In der FR veröffentlichte er Dienstag eine etwas unschlüssige Antwort: antisemitisch sei das Buch doch wohl nicht, bedenklich schon. Suhrkamp strich, nach zögerlicher Verteidigung, die Segel. Die erste Auflage von 2.000 Stück ist verkauft, der Verlag hat die Rechte dem Autor zurückgegeben.
Der Treibstoff dieser Affäre ist der Antisemitismus-Vorwurf, der in Deutschland verlässlich alle Alarmglocken schrillen lässt. Ist „Nach dem Terror“ antisemitisch? Nein – zumindest nicht im üblichen Sinne. Es gibt in dem Buch keinen Judenhass und keines der klassischen Ressentiments. Allerdings ist es voller Affekte gegen Israel, die in der forschen Rechtfertigung des Terrors gegen israelische Zivilisten kulminieren. Das ist etwas anderes als Antisemitismus – aber intellektuell nicht weniger blamabel.
Das ist die zweite Geschichte. Sie handelt von Ted Honderich, einem analytischen Philosophen, der angesichts der schreienden globalen Ungerechtigkeit keine Lust mehr hatte, die Welt nur zu interpretieren. So hat er ein Buch geschrieben, das Schluss macht mit all den Abwägungen und Differenzierungen, die das tägliche Schwarzbrot analytischer Philosophen ist. „Wir sollten erkennen, wie notwendig es ist“, schreibt er, „sich von einem Haufen Moral zu verabschieden, der zu viele Unterscheidungen enthält.“ Das hat er in der Tat beherzigt. „Nach dem Terror“ ist eine Mischung aus moralanalytischen Diskursen über das „gute Leben“ und Bekenntnissen, die eher am Tresen als am Schreibtisch entstanden zu sein scheinen. Über langwierige Ableitungsketten, die den Skandal der wachsenden globalen Armut begrifflich umkreisen, rast der Text mit Siebenmeilenstiefeln zu der Frage, wann Terror gegen Ungerechtigkeit legitim ist. Der Westen ist Täter, die Dritte Welt Opfer, die Frage akut. So viel ist klar. Warum sich Honderich dem Terror und nicht zum Beispiel der Reform des IWF zuwendet, weniger.
Honderich, so Habermas, will den Blick auf den „auf den Entstehungskontext des Verbrechens vom 11. 9. lenken“ – aber genau das tut er nicht. Dann würde es gelten zu zeigen, wie aus Jungakademikern aus Saudi-Arabien durchgeknallte Killer werden, und zu analysieren, was man hilfsweise „islamistischen Faschismus“ nennen kann. Aber all das interessiert hier nicht – denn dann müsste das Bild vom Westen als Täter, von Bin Laden als bewusstlosem Rächer der Opfer überprüft werden. Und dieser Luftzug von Wirklichkeit würde das ganze philosophische Kartenhaus zum Einsturz bringen.
„Ohne die todbringende Behandlung durch uns wären die Gräuel bei den Zwillingstürmen nicht geschehen“, schreibt Honderich. Und: „Wir alle haben Anteil an der Schuld“, weil wir die Dritte Welt ausbeuten. Der 11. September wird in dieser Optik zur Strafe für unsere Sünden. Das ist der Kern dieses Pamphlets. Es geht darin nicht um Politik, nicht um die Analyse, wie Reichtum und Armut zusammenhängen, sondern um eine mit rhetorischen Knalleffekten angereicherte Bußpredigt. Der Autor rechtfertigt den 11. 9. keineswegs, ganz im Gegenteil – aber es gibt zwischen den Zeilen eine Sehnsucht nach der aufrüttelnden Tat, nach einem gewaltsamem Erweckungserlebnis. Sogar Honderich fällt mal kurz auf, dass diese Argumentationsfigur eine religiöse Unterströmung hat. Das ist der einzige Erkenntnisgewinn, den dieses Buch parat hält: Es ist die Bankrotterklärung eines wohl protestantisch gefärbten Blicks, in dem sich der 11. 9. in die Koordinaten von Schuld und Sühne verschiebt.
Auf diesem schwindelerregenden Abstraktionsniveau wird auch Israel zum Zeichen für die Schuld des Westens. Daher, nicht aus antisemitischen Ressentiments, rührt der Furor gegen Israel. Honderich will den 11. 9. und den Nahostkonflikt als Menetekel lesen, die dem Westen seinen moralischen Defekt vor Augen führen. Deshalb braucht er Israel als Metapher für die Gewalt, die der Westen dem Rest der Welt antut. Vom realen Nahostkonflikt versteht Ted Honderich so viel wie der Papst von der Homoehe.
Und nun? Der Verlierer dieser Affäre ist Suhrkamp. Dass es in den USA zuvor schon eine Debatte um das Israel-Bild in dem Buch gab, war dem Verlag offenbar nicht geläufig. Suhrkamp hat sich nun von Honderich distanziert, weil „dem Verlag die Haltung des Autors zum palästinensischen Terrorismus nicht rechtzeitig deutlich wurde“. Das sieht nicht mehr nach geordnetem Rückzug aus, eher nach kopfloser Flucht.
Micha Brumlik hat zu Recht Erfolg gehabt, wenn auch mit einem etwas unscharfen Antisemitismus-Vorwurf. Falsch wäre es nun, wenn der Eindruck haften bliebe, dass Suhrkamp keine israelkritischen Bücher publizieren darf. Es gibt genug Gründe für fundierte, auch radikale Kritik an Israel. Sie gehören auch in einen Verlag, der Adorno publiziert.
Suhrkamp wird das Buch nun nicht mehr auflegen. Was vergriffen ist, das macht uns gerade scharf – das ist jedoch stets der Effekt solcher Affären. „Nach dem Terror“ aber hat den Adelsschlag, als Auslöser eines Skandals gedient zu haben, nicht verdient.
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