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DGB-Vorsitzender warnt vor sozialen Unruhen

Ab heute flattern so genannten Langzeitarbeitslosen Fragebogen ins Haus. Gefragt wird nach Vermögen, Einkommen und vielen weiteren persönlichen Daten. Rund 6.000 Kölner erhalten ab Januar voraussichtlich keinerlei Stütze mehr

KÖLN taz ■ „Hartz IV wird ungeahnte Konsequenzen für die Region mit sich bringen. Die Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird entgegen der Wahlversprechen der rot-grünen Bundesregierung nicht zu einer neuen Hilfeleistung oberhalb des Sozialhilfeniveaus zusammengefasst, sondern die Arbeitslosenhilfe wird faktisch abgeschafft“. Das meint Kölns DGB-Vorsitzender Wolfgang Uellenberg-van Dawen.

Nach Berechnungen des Gewerkschaftsbundes werden alleine in Köln die 28.000 Langzeitarbeitslosen ab Januar 2005 in der Regel deutlich weniger Unterstützung erhalten: Statt 580 Euro im Monat gebe es dann nur noch 345 Euro. Noch dramatischer könnte es für 6.000 der 28.000 Hilfeempfänger in Köln ausgehen: Sie könnten gar keine Unterstützung mehr erhalten. Schuld daran sei neben der so genannten Reform auch der 16-seitige Fragebogen, der von heute an in die Briefkästen der Hilfebezieher flattert. „Der Fragebogen ist dermaßen kompliziert auszufüllen, dass jemand ohne Steuerberater fast zwangsläufig daran scheitern muss“, kritisiert Uellenberg-van Dawen.

Doch das ist nur ein Problem. Der Fragebogen verletzt nach Auffassung des Gewerkschafters zudem die Privatsphäre und beschädigt den Datenschutz mit indiskreten Fragen nach den Vermögensverhältnissen. „Jeder Cent, jedes Sparbuch und jedes Schmuckstück soll angegeben werden“, schimpft Uellenberg-van Dawen. Und wer unter dem Strich mehr als 13.000 Euro auf der hohen Kante hat, muss erst mal davon zehren bevor es Unterstützung gibt. „Da werden systematisch Menschen in die Armut getrieben“, prophezeit der Kölner DGB-Chef, „und diejenigen werden bestraft, die rechtzeitig fürs Alter durch Spargroschen oder die propagierte Riester-Rente vorgesorgt haben.“

Doch nicht nur an den massiven Leistungskürzungen stößt sich der DGB: „Auch wird der neue Arbeitszwang den Niedrig-lohnsektor erheblich ausweiten“. Für den Antragsteller liest sich das im feinsten Beamtendeutsch abgefasste Anschreiben zum Fragebogen so: „Als Empfänger von Leistungen des SGB II [Sozialgesetzbuch Zweites Buch, Anm. d. Red.] sind Sie verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen [im Anschreiben hervorgehoben, d. Red.], zu der Sie geistig, seelisch und körperlich in der Lage sind.“ Das Anschreiben belehrt weiter, dass Pflichtverletzungen, „für die sie keinen wichtigen Grund anführen können“, zu einer Absenkung des Arbeitslosengeldes führen. Bei wiederholter Pflichtverletzung sei auch ein „völliger Wegfall des Arbeitslosengeldes“ nicht ausgeschlossen.

Im gesamten Einzugsbereich des DGB Köln-Leverkusen-Erft-Berg wird der Fragebogen an über 80.000 Menschen zugestellt. Uellenberg-van Dawen verweist auf die Warnungen der Polizeigewerkschaft, dass soziale Unruhen vor den Agenturen für Arbeit und den Sozialämtern nicht auszuschließen seien: „Hatte die Bevölkerung bislang die Hartz-Reformen als abstraktes Politikergeschwätz abtun können, wird mit der umfassenden Datenerfassung per Fragebogen langsam jedem klar, was da wirklich auf uns zu kommt“.

Wolfgang Jorzik

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