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Poesie plakativ

Der Dichter Eduard Mörike wird demnächst 200 Jahre alt. Die Marbacher Schillergesellschaft erfreut deshalb norddeutsche Städte mit Lyrikplakaten

Guten Morgen, liebe Litfasssäule. Bist du jetzt Kunst im öffentlichen Raum?

Im Nebel ruhet noch die Welt. Schlaftrunken ächzt der eigene Körper dem Tageswerk entgegen. Noch träumen Wald und Wiesen. Denk’ ich, schlaf’ ich, wach’ ich? Ich lese! Und lese weiter: Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, / Den blauen Himmel unverstellt. Guten Morgen, liebe Litfasssäule. Bist du jetzt Kunst im öffentlichen Raum? Für was wirbst du da mit diesen Dichterworten? Keine Antwort.

50 der 218 Bremer Litfasssäulen prunken vier Wochen lang mit der lyrischen Pracht vom Eduard, dem Mörike. Worte des morgendlichen Frohlockens, wonniglich gereimte Hoffnungsschimmer durch all die Alltagspein sowie der Liebessprache wunderlich Gelüsten. Nur im Klitzekleingedruckten erfährt man vom Sinn der Plakataktion: Am 8. September ist der 200. Geburtstag des Dichters zu begehen. Deshalb hat Baden-Württemberg 2004 als Mörike-Jahr ausgerufen – als Generalprobe für die Feiern zu Schillers 200. Todestag im nächsten Jahr.

Damit „Mörikes Stimme, die so bescheiden und abseits der Welt laut wurde“, wie Marie Luise Kaschnitz 1961 schrieb, „forttönt als eine unverwechselbare Musik“, hat die Deutsche Schillergesellschaft mit Sitz in Marbach am Neckar sechs der etwa tausend bekannten Mörike-Gedichte auf 1.000 Litfasssäulen in 14 deutschen Städten kleben lassen. Poetische Impulse – für lau. Die Deutsche Städte-Medien GmbH engagierte sich kostenlos, Sponsoren zahlten Druck und Papier. Und Mörike kann eh keine Tantiemen mehr einklagen.

Für lau sollten die holden Zeilen auch designt werden. Ein emeritierter Professor für visuelle Kommunikation aus Wuppertal erklärte sich bereit. Und so sehen die Poster auch aus: emeritiert – von vorgestern. Schwarze Schrift auf ausgewaschenen Farbflächen aus der Anthroposophie-Palette. Ob das dem introvertierten Dichter gerecht wird, seine sensitive Seele als eine schöne offenbart?

Der gebürtige Ludwigsburger Pfarrer Mörike verstand es jedenfalls, protestantisches und pietistisches Erbe produktiv zu machen und schlug aus einem sorgenvoll ereignislosen Leben in provinzieller Enge reichlich dichterische Funken. Im Schwabenländle weiß man das. Deswegen hängen die Plakate jetzt auch in Hamburg, Hannover, Wolfenbüttel – und eben Bremen.

Nur, warum kümmert sich die Deutsche Schillergesellschaft um Mörike? Sprecherin Christine Dätsch erklärt, dass man Schiller nicht nur als National-, sondern auch als schwäbischen Dichter verstehe: Schiller wurde in Marbach geboren und seit 1903 fungiert dort das Schiller-Nationalmuseum als Pilgerstätte – selbst Schiller-Socke und -Taufhäubchen sind dort zu sehen.

Weil der Kult vor Ort auch zu viel werden kann, möchte die noble Gesellschaft Gutes tun, sich nicht nur um ihren Weimarer Schwaben, sondern um alle großen schwäbischen Dichter kümmern. Also wurde auch ein Mörike-Archiv eingerichtet, wird die kritische Mörike-Gesamtausgabe editiert, eine Mörike-Jubiläumsausstellung kuratiert. Und mit den Lyrikplakaten jetzt gegen das Image der niedlichen Stubenhockerpoesie angeworben: Mörike kommt mit wilder Leidenschaft, großer Sehnsucht und dickem Weltschmerz zu Wort. Überraschungseffektiv präsentiert mitten im Straßenbild. Innehalten. Lust auf Mörike wecken, der zum Thema „Lust“ im Poem „Nimmersatte Liebe“ vom Plakat aus meint: Die Lieb, die Lieb hat alle Stund / Neu wunderlich Gelüsten; / Wir bissen uns die Lippen wund, / Da wir uns heute küssten. / Das Mädchen hielt in guter Ruh, / Wie’s Lämmlein unterm Messer; / Ihr Auge bat: nur immer zu, / je weher, desto besser! fis

Die Plakate sind im DIN-A3-Format erhältlich. Email-Kontakt: presse@dla-marbach.de

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