: Faschos nehmen Schulen ins Visier
Behörden schlagen Alarm: Neonazis wollen kostenlos Propaganda-CDs verteilen. An immer jüngere SchülerInnen. Die Aktion offenbart nur einen Teil des rechten Vormarschs auf Berlins Schulen. PDS setzt dagegen auf CD für die LehrerInnen
VON FELIX LEE
Das schafft nicht einmal Britney Spears. Da ist die CD noch gar nicht im Umlauf, und trotzdem sorgt sie für Furore. Die Urheber mussten nicht mal selbst die Werbetrommel rühren. Der Verfassungsschutz sorgte für die entsprechende Publicity.
Seit einigen Wochen schlagen die Behörden Alarm. Sie haben konkrete Hinweise, dass Neonazis pünktlich zum Schulbeginn braune Propaganda-CDs an die Schüler verteilen wollen. Von bundesweit 250.000 Stück ist die Rede. „Anpassung ist Feigheit – Lieder aus dem Untergrund“ heißt die CD, auf der eine gereckte Faust abgebildet ist. Und der Inhalt dieser braunen Scheibe ist auch schon bekannt. Eingeleitet wird sie von einer Männerstimme, die im Stakkato-Deutsch die Schulen als „Sammelbecken für jugendliche Schwerkriminelle“ anprangert. Von „antideutscher Geschichtsschreibung“ an Schulen spricht er, die „nur Deutsche als Täter sieht“. Auch die übrigen 20 Lieder strotzen nur so von fremdenfeindlicher Agitation und nationalistischer Deutschtümelei.
In seltener Eintracht deckt das CD-Repertoire aus rechtem Rock und Heavy Metal ein breites Spektrum ab. Ein Indiz für den inzwischen sehr hohen Organisationsgrad der bisher eher zerstrittenen Szene. Von Bands wie „Noie Werte“ und „Stahlgewitter“ über „Spirit of 88“ und „Frontalkraft“ sind alle Musikrichtungen vertreten, die bei Neonazis angesagt sind. Daneben finden sich auf der CD Webadressen von 56 rechtsextremen Organisationen und regionalen Verbänden.
Verfassungsschützer sprechen von einer neuen Dimension der braunen Propaganda. So massiv hätten sich Neonazis noch nicht zusammengeschlossen, um gemeinsam an Schulen auf Nachwuchs-Jagd zu gehen. Sie befürchten, dass die Agitatoren durchaus Erfolg haben könnten. Gerade unter den 12- bis 15-Jährigen habe sich gezeigt, dass Musik eine wirkungsvolle „Einstiegsdroge“ sein kann.
Auch die Berliner Behörden haben das Problem erkannt. Lehrer wurden informiert und angewiesen, beim Auftauchen der CD sofort das Kriminalamt einzuschalten, sagte Anne Rühle, Sprecherin der Senatsverwaltung für Bildung. Zudem sollen im Umfeld von Schulen Polizisten patrouillieren. Der Berliner Verfassungsschutz rechnet mit Verteilaktionen an Schulen, an denen es bereits Cliquen mit rechtsradikalen Jugendlichen gibt. Diese befinden sich vor allem in den Ostbezirken wie Pankow, Lichtenberg und Köpenick.
Anfangs waren sich Polizei und Landesministerien uneins über den strafrechtlichen Umgang mit dieser CD. Anwälte der Urheber hatten angeblich den Sampler vorab auf strafbare Inhalte überprüft, um Beschlagnahmungen und Anklagen zu vermeiden. Das Amtsgericht Halle hat aber inzwischen dem Generalstaatsanwalt von Sachsen-Anhalt Recht gegeben, der die CD als „offenkundig schwer jugendgefährdend“ eingestuft hat. Seit Donnerstag darf sie bundesweit beschlagnahmt werden.
Bianca Klose von der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“ kann in der Aktion hingegen nichts qualitativ Neues entdecken. Sie beobachtet bereits seit einigen Jahren eine Zunahme von Antisemitismus und Fremdenhass an Berliner Schulen. Schimpfwörter wie „Du Judenschwein“ und „Dönerfresser“ sind inzwischen auch an Realschulen und Gymnasien geläufig, nicht nur an Hauptschulen. „Zudem ist auffällig, wie sehr sich die Szene verjüngt hat“, so Klose weiter. Neonazi-Kader würden gezielt Fünft- und Sechstklässler ansprechen. Eine Rock-CD sei nur eins von vielen Mitteln, die ansonsten eher schwer verdauliche Ideologie jugendgerecht zu verpacken. Eine Lehrerin in Köpenick berichtet von Flugblättern und Schülerzeitungsartikeln mit rechten Inhalten, die seit einem Jahr in ihrer Schulklasse kursieren.
Gegenmaßnahmen gibt es aber auch. So hat die länderübergreifende Stelle für Jugendschutz (www.jugendschutz.de) im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung eine CD herausgebracht, auf der sich Unterrichtsmaterialien für Lehrer zum Thema Rechtsextremismus befinden. Und der PDS-nahe Jugendverband „solid“ will im September ebenfalls mit einem eigenen CD-Projekt vor die Schultore treten. Das Motto lautet: „AufMUCKEn gegen rechts“. Ihr Geschoss: Konstantin Wecker und Hannes Wader.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen