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Rotlicht- Angst in Wandsbek

Der Widerstand gegen einen Umzug des „Geizhauses“ im Hamburger Stadtteil Wandsbek zeigt, dass Prostitution noch immer kein Gewerbe ist wie jedes andere – auch wenn sie in Deutschland seit Jahren legal ist

Das „Geizhaus“ versteht sich als saubere Alternative, geführt von Frauen, die wissen, was es heißt, illegal als Prostituierte zu arbeiten

VON J. DYFED LOESCHE

Seit vierzig Jahren lebt Ilse Drews am Friedrich-Ebert-Damm in Hamburg-Wandsbek, im dritten Stock eines Hochhauses. Sie war eine der Ersten, die sich damals eine Wohnung kaufte. Die Rentnerin ist Sprecherin der Bürgerinitiative „Wandsbek wehrt sich“, die sich gegen das Rotlicht, die Prostitution und ganz speziell gegen das „Geizhaus“ wendet – ein Bordell, das sich 200 Meter Luftlinie entfernt im Gewerbegebiet einmieten will. Drews sitzt mit drei Mitstreitern auf der Ledergarnitur um den Couchtisch, vor sich hält sie einen prall gefüllten Ringordner. Fein säuberlich hat Drews alle Berichte aus der Lokalpresse gesammelt und abgeheftet.

Es ist die Chronik einer Posse, die zeigt, dass Prostitution, obwohl weit verbreitet und per Gesetz legal, auch in einer sich liberal gebenden Stadt wie Hamburg weit davon entfernt ist, ein Gewerbe wie jedes andere zu sein.

Am Anfang stand eine lancierte Falschmeldung in der Hamburger Morgenpost. Im Oktober 2008 kündigte der Zuhälter und Bordellbetreiber Gianni Sander an, er würde auf einem freistehenden Areal am Friedrich-Ebert-Damm die Mutter aller Bordelle errichten. Im „Tropicana Islands“ an der Auto-Meile, direkt neben einer Mercedes-Niederlassung, sollten ab 2010 bis zu 300 Frauen anschaffen. Zum Bordell-Komplex sollten ein VIP-Club, eine exklusive Table-Dance-Bar, viele Apartments und ein Laufhaus gehören. Als besondere Attraktion plane Sander einen künstlichen Straßenstrich, auf dem die Damen unter Kunst-Palmen flanieren sollten. „Die zehn Millionen für das ‚Tropicana Islands‘ sollen von Investoren aus Dubai kommen“, verkündete die Morgenpost.

Der Brand war gelegt. Die Bürger befürchteten, Sander wolle ihr Viertel abseits der Reeperbahn zum Las Vegas der Lüste umfunktionieren. Der SPD-Bezirksabgeordnete Reiner Schünemann stellte eine kleine Anfrage an das Bezirksamt Wandsbek. Er wollte der Sache im Namen seiner Wählerschaft auf den Grund gehen. Allen voran sollte die Bezirksamtsleiterin Cornelia Schroeder-Piller (CDU) Rechenschaft über die Umtriebe im Viertel ablegen.

Schroeder-Piller konnte jedoch versichern, dass Sander keinen Vorbescheid, keine vorläufige Genehmigung zum Bau eines Riesen-Bordells beantragt hatte. Der Mega-Puff vor der Haustür sollte den Wandsbekern erspart bleiben. Sander hatte mit seinen spektakulären Plänen wohl lediglich seine Rivalen beeindrucken wollen, die ihrerseits in Hamburg-Hamm ein Bordell mit 130 Zimmern planten.

Nebenbei kam jedoch heraus, dass der Betreiber des 15-Zimmer-Bordells „Geizhaus“, Hans-Jürgen N., mit seinem bereits bestehenden Etablissement von der Ahrensburger Straße in dasselbe Gewerbegebiet ziehen wollte. Und: Der Umzug in den zweiten Stock über einem Elektronik-Händler war per Vorbescheid vom Bezirksamt bereits genehmigt worden.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre gründete sich Ende 2008 die Bürgerinitiative. „Wir haben nichts gegen Bordelle, es muss nur abgesprochen werden, wo sie hinkommen“, sagt Drews. Sie ist empört darüber, dass das Bezirksamt erst, als es zu spät war, kleinlaut einräumte, dass das Freudenhaus zu ihnen in die Nachbarschaft verlegt werden soll.

Für sie ist das Bordell, das sich in der Angerburgerstraße einmieten will, ein weiterer unheilvoller Vorbote. Drews holt aus ihrem Ordner das Flugblatt mit durchgestrichener Laterne. Für sie steht fest, erst kommt das Freudenhaus, dann der Straßenstrich, das Milieu, die Drogen und die Beschaffungskriminalität. Gerade das Gewerbegebiet vor der Haustür, mit den vielen Leerflächen, sei prädestiniert für eine Übernahme durch das Milieu.

Drews hat Angst vor dem Dammbruch, der das Viertel schleichend zum Brennpunkt verkommen lassen würde. Nicht nur die gefühlte Wohnqualität, auch der Wert der Immobilien würde verfallen. Drews blättert im Ordner, lässt den Bügel aufschnappen und schiebt einen A 4-Ausdruck über den Couchtisch. Aus dem Internet hat Drews ein Foto von Yessy in roter Spitze ausgedruckt. Studentin, 21 Jahre jung, 172 cm groß, blonde, sehr lange Haare, grüne Augen, BH 75 B und völlig unverdorben, wie es dort heißt.

Yessy arbeitet nur zwei Eingänge neben Drews Wohnung. Im Parterre, wo früher noch ein Geschäft war, hat sich eine Model-Wohnung eingenistet. Die Schaufenster sind mit weißen Jalousien abgehangen. Zur Sackgasse hin, wo die Taxen halten, hängt die Deutschlandfahne im Fenster, zur Orientierung für die Freier. Der Feind sitzt bereits im Haus.

In Hamburg gebe es zirka 350 bis 400 solcher Model-Wohnungen, in denen meist zwei bis drei Frauen auf eigene Rechnung arbeiten, sagt Veronika Munk. Sie ist Sprecherin von „Tampep“, einer europäischen Nichtregierungs-Organisation, die sich vor allem für die Rechte ausländischer Sexarbeiterinnen einsetzt. Die Mini-Bordelle seien quer über das Stadtgebiet verteilt. In Hamburg seien sie die am weitesten verbreitete Bordellart.

Munk glaubt nicht, dass das „Geizhaus“ milieubedingte Begleiterscheinungen zur Folge haben wird. „Es ist nicht so wie im wilden Westen, wo an jedem Tag geschossen wird.“ Zuhälterei ließe sich in diesem Gewerbe nicht ganz vermeiden, doch sei sie in Deutschland nicht die Regel.

Noch liegt das „Geizhaus“ mitten in einem Wohngebiet, direkt an einer vierspurigen Ausfallstraße. Die Fassade ist hell beleuchtet, die Fenster sind säuberlich mit grellgrüner Folie samt Logo abgeklebt. Die Ampel am Eingang, an der Seite des Hauses, steht auf grün. Zu Stoßzeiten, wenn alle Zimmer belegt sind, wird auf Rot geschaltet.

Es ist früher Abend und der nächste Freier betritt das Bordell. Anke Christiansen, zirka Mitte vierzig, blond gefärbtes Haar, ist Empfangsdame und Managerin in Personalunion. Sie bittet in die verrauchte Küche des Etablissements, damit der Betrieb auf dem engen Flur nicht ins Stocken gerät. Christiansen war selbst Hure. Nun führt sie das Bordell mit zwei Kolleginnen.

In dem Altbau an der Ahrensburger Straße schaffen seit 2003 bis zu 20 Prostituierte an. Das „Geizhaus“ hat sich als Deutschlands erstes Discount-Bordell auf dem Markt positioniert. „Geiz macht Geil“, 38,50 Euro für eine halbe Stunde, garantiert. Keine Extras, keine überteuerten Getränke, keinen Schampus. Hier wird die Ware Sex ohne Glamour angeboten.

Seit die rot-grüne Bundesregierung 2002 das Prostitutionsgesetz verabschiedete, ist Prostitution legal. Der Tatbestand der Sittenwidrigkeit wurde abgeschafft und Bordelle wie das „Geizhaus“ gelten seither als reguläre Wirtschaftsbetriebe. Huren können sich sozial versichern, ihren Lohn über den Rechtsweg von säumigen Kunden einklagen und müssen Steuern abführen.

Sex ist zu einem Dienstleistungsgewerbe wie jedes andere geworden – auf dem Papier. Expertin Munk meint, dass der politische Prozess stagniere. Zwar sei die Prostitution legalisiert, doch gebe es noch zu viel Unsicherheit und rechtliche Graubereiche, weil angrenzende Gesetze, wie das Zuhälterei-Gesetz, nicht angepasst worden seien. Der Hamburger Senat solle endlich sein Versprechen einlösen, einen runden Tisch zum Thema „sexuelle Dienstleistungen“ abzuhalten. Nur so ließen sich Vorurteile abbauen.

Das „Geizhaus“ versteht sich als saubere Alternative zum Rotlichtmilieu, geführt von Frauen, die wissen, was es heißt, illegal in der Prostitution zu arbeiten. Zum Beispiel zahlen die Freier mit Jetons – das unangenehme Gefühl, wenn der Freier die Scheine auf den Nachtisch legt, soll den Mädchen erspart bleiben.

Munk hält das Modell des „Geizhauses“ für geeignet, um Frauen einen möglichst würdigen Arbeitsplatz zu gewähren. Mehr Transparenz ginge mit besseren Arbeitsbedingungen einher. „Prinzipiell ist so ein Bordell sehr positiv, wenn man es aus der Perspektive der Frauen betrachtet.“

Auf dem Tisch in der Küche des „Geizhauses“ liegt ein Stapel Scheine, neben den Taxinotizblöcken qualmen zwei Zigaretten im Aschenbecher. Managerin Christiansen steht in weißer Bluse und schwarzem Zweiteiler da. Sie erklärt, die Medien seien immer willkommen, doch zu den Umzugsplänen könne sie nichts sagen. Der Umzug vom Wohn- ins Gewerbegebiet würde für das „Geizhaus“ den Sprung von der Duldung in die Legalität bedeuten. Doch so lange der Widerstand anhält, schwingt die Angst mit, der Statuswechsel könnte verwehrt bleiben.

Vor Ort in Wandsbek, bei Drews im Wohnzimmer, sind sich die Mitglieder der Initiative einig, dass das „Geizhaus“ nicht die saubere Alternative ist, die es vorgibt zu sein. „Das ist eine Sache, um uns die Augen zu verkleistern. Den Frauen geht es kein bisschen besser“, meint Drews.

Nachdem in der Wandsbeker Bezirksversammlung lange keine Mehrheit für den Bordellumzug zustande kam, ist die CDU-Fraktion am Donnerstagabend mehrheitlich umgekippt – zusammen mit FDP und GAL stimmte sie dafür, den Umzug zu genehmigen. Die einzige Fraktion, die noch geschlossen dagegen ist, ist die SPD, und die befindet sich hoffnungslos in der Minderheit.

Für die Bürgerinitiative „Wandsbek wehrt sich“ ist das noch lange kein Grund, aufzugeben. Noch am selben Abend kündigte sie ein Bürgerbegehren an.

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