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„Wir wollen nicht mehr jammern“

In der 70er-Jahren entstanden in Berlin zahlreiche Chile-Solidaritätsgruppen – in Ost und West. Zum 30. Jahrestag des Putsches versuchen sie, neue Debatten anzustoßen

„Allende, das Volk verteidigt dich“, ruft die Masse auf der Leinwand. Der sozialistische Präsident steht aufrecht in einem Cabrio und beantwortet mit zurückhaltenden Gesten die Jubelrufe. Dann bricht der Film ab und das Microsoft-Symbol erscheint. Héctor Guerra läuft rasch zum Laptop und startet die DVD neu.

Nicht nur im Moviemento-Kino ist Chile in diesen Tagen das Hauptthema. Ganz Berlin ist voll von Veranstaltungen, die sich auf den Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende heute vor dreißig Jahren beziehen. Allen gemein ist das Ziel, alte Sichtweisen und Klischees zu überwinden und neue Debatten auszulösen.

Héctor Guerra gehört zum Berliner Organisationskomitee „30. Jahrestag des Militärputsches“. Seit März treffen sich etwa dreißig junge Menschen, hauptsächlich Chilenen, um die Filmwoche und andere Veranstaltungen zu organisieren. Die Filme behandeln verschiedene Momente der chilenischen Geschichte: die Organisation der Arbeiter, den Umgang mit der Vergangenheit, das Phänomen Autoritarismus. Héctor will, dass gerade Deutsche neue Fragen stellen. Wie sieht es in Chile heute aus? Wie geht es den Arbeitern? „Die Linke hat damals verloren“, sagt er, „aber wir wollen nicht mehr jammern, sondern alles neu machen.“

Die Sprachlosigkeit der Linken wollen auch Kurt Neumann und Wladislaw Hederer vom Kulturverein Helle Panke e. V. durchbrechen. Der Verein ist an die Rosa-Luxemburg-Stiftung angeschlossen und gründete sich 1991, um Bildung und Kultur zu fördern. Zum dreißigsten Jahrestag des Putsches zeigt er sich selbstkritisch: „Wir haben bestimmte Probleme nicht bedacht, weil wir alles nur aus der Perspektive der entwickelten Länder sahen. Deswegen wollen wir jetzt zum Beispiel fragen, ob es in Chile eine gerechte Entwicklung gibt oder was es dem Land bringt, sich am Export zu orientieren“, meint Neumann.

Er und Hederer bilden dabei ein deutsch-deutsches Team, wie sie stolz betonen: Hederer kommt aus der ehemaligen DDR, Neumann aus dem Westen. „In der DDR gab es eine offizielle Chile-Solidarität“, erzählt Hederer, „aber in diesem Fall stand die Bevölkerung auch wirklich dahinter.“ Allende galt in der DDR als Vorbild, weil er die Linke vereint hatte. „Heute können wir von ihm lernen, dass es wichtig ist, das Grundgesetz zu verteidigen“, meint Hederer.

Allende blickt auch vom Cover der aktuellen Ausgabe der Lateinamerika Nachrichten. Er hält eine Fahne und sieht irgendwie traurig aus. Der Titel des Heftes: „Chile heute – Wer hält die Fahne hoch?“ „Wir haben schon oft die Geschichte nacherzählt. Diesmal machen wir eine Momentaufnahme. Eine Bilanz der neoliberalen Reformen und der Aufarbeitung der Vergangenheit“, sagt Jürgen Vogt. Er ist der einzige bezahlte Mitarbeiter der Zeitschrift. Der Rest der Redaktion arbeitet ehrenamtlich.

Das Blatt gründete sich im Mai 1973 unter dem Namen Chile Nachrichten, um unabhängige und vollständige Informationen zu verbreiten. Nach dem Putsch stieg die Nachfrage sprunghaft an und die Kopierer liefen heiß. Am 30. Jahrestag ist das Wichtigste neben dem Schwerpunktheft eine Diskussionsveranstaltung zur Rolle der Presse während Allende-Regierung, Putsch und Diktatur. „Bei der Fülle an Veranstaltungen mussten wir uns absetzen“, erklärt Vogt, „und das Thema Medien lag für uns natürlich nahe.“

Ihn persönlich interessieren vor allem die Informationen, die die Experten auf dem Podium geben können. 1973 war er zwölf Jahre alt, wohnte in Karlsruhe: „Die Fußball-WM im nächsten Jahr war für mich wichtiger als die Weltpolitik.“ Deswegen hat auch Salvador Allende für ihn persönlich keine Bedeutung. Er sieht den sozialistischen Präsidenten eher als historische Figur für die Soli-Bewegung.

Für Héctor Guerra ist der verstorbene Staatschef ein Symbol mit Einschränkungen. „Er stand zu seinen Überzeugungen. Das ist es, was bleibt. Über alles andere lässt sich diskutieren.“ Héctor ist 33. Vor zehn Jahren kam er nach Deutschland, weil er es im demokratischen Chile nicht mehr aushielt. Er hatte die ganzen Jahre für Freiheit gekämpft, und als die Freiheit da war, enttäuschte sie ihn. Plötzlich war nicht mehr wichtig, was er und seine Mitstreiter zu sagen hatten. Die Politik ging ihren gewohnten Gang, und er blieb außen vor. In Berlin begegnet ihm viel Solidarität. Das spürt er auch jetzt, wenn das Publikum ihn nach den Filmen mit Fragen bestürmt. „Das Beispiel Chile zeigt: Solidarität ist nicht verhandelbar“, findet Héctor. Allende hätte ihm sicher zugestimmt.

DINAH STRATENWERTH

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