: Meinung machen mit Meinungsumfragen
Vertreiben Windräder auf See die Touristen an der Küste? Befürworter und Gegner jonglieren mit den Zahlen
BERLIN taz ■ Kein Zweifel, dass die Windkraft gut ist für den Klimaschutz: 16.000 Anlagen am Standort Deutschland tragen 14.000 Megawatt zur CO2-Reduktion bei. Kein Zweifel, dass es überm Meer um 40 Prozent mehr bläst als an Land – 2030 sollen vor den Küsten 25 Gigawatt Strom entstehen, eine Leistung von 20 Atomkraftwerken.
Kein Zweifel aber auch, sagen Küstenanrainer, dass Offshore-Parks den Fremdenverkehr bedrohen. Und sie belegen das mit Umfragen unter den Gästen. „28,7 Prozent, das wäre verheerend“, bewertet Fried Krüger vom Darßer Tourismusverband eine Studie der FH Stralsund zum Thema „Windkraft gegen Tourismus“.
530 Gäste der vorpommerschen Halbinsel hat Wirtschaftsingenieurin Anja Scharlau befragt. 152 davon, jene 28,7 Prozent, würden beim Bau des 15 Kilometer vor der Küste geplanten Windparks „Baltic 1“ nicht wiederkommen – besonders Gäste, die sich als „energiepolitisch interessiert“ einstuften. Das Raumordnungsverfahren für „Baltic 1“ hat begonnen. Ab heute liegen die Unterlagen aus, bis zum 4. Oktober läuft die Frist für Einwendungen.
Fast ein Drittel weniger Gäste in einer Region, die am Tropf der Gastronomie hängt – welch ein Argument für die Gegner. Aber alles ist eine Frage der Lesart. 71,3 Prozent Nichtgegner, kontert Rüdiger Wolf, Chef der Offshore Wind Power GmbH (OWP) Erkelenz, „das ist doch gar nicht so übel“. Immerhin werde ein Großteil negativer Aussagen bewusst geschürt. Und noch ist nichts gebaut. Trotz fast 40 beantragter Projekte werden Nord- und Ostseebrisen mindestens noch bis 2005 allein zum Segeln genutzt.
Für Peter Ahmels vom Bundesverband Windenergie wäre jede Verzögerung ein „technologischer Fadenriss“. So hat auch OWP eine Umfrage initiiert – mit Gegnern wie WWF oder dem Landkreis Rügen im Schlepptau. Ergebnis: Von 3.000 Besuchern und Bewohnern will jeder 14. die Region meiden, sollte OWP vor Rügen den Park „Adlergrund“ bauen. 7 Prozent Abkehr oder 93 Prozent Treuebonus? Letzteres, sagt Wolf. Einige kämen gar wegen der 80 Rotoren. Fern blieben betagte Stammgäste aus dem Norden.
Die Mutter aller Erhebungen kommt vom Kieler Institut für Tourismus- und Bäderforschung. Das NIT hat vor vier Jahren in Kooperation mit allen Streithähnen 446 Gäste Schleswig-Holsteins und 2.000 Personen telefonisch befragt. Viele Kritiker, so zeigt sich, sind auf Zuruf kritisch. Werden die Fragen offen gestellt, sind Offshore-Parks für 2 Prozent ein Grund zum Ferienortwechsel. Ältere Umfragen brachten ähnliche Ergebnisse. Im Multiple-Choice-Verfahren waren es dagegen bei den Gästen 21 Prozent, bundesweit 15. Im Ernstfall jeder fünfte Gast auf Abwegen – die wären laut Landestourismusverband „für alle Zeit verloren“.
Auch Scharlau nutzte die NIT-Studie und beteuert, sie sei „völlig neutral“. Aber: Ihre Fragebögen lagen in lokalen Herbergen aus, deren Besitzer die 21 fast 120 Meter hohen Anlagen abseits des Naturparks ablehnen. Wie oft wohl beim Frühstück über „Vogelschredder“ und „Verspargelung“ diskutiert wurde?
Auch die Betreiber haben ihre Schlagworte: Jobs, Klima, Attraktion. Sie dürften bei einer OWP-Umfrage auf der Messe „Rügana“ Ende 2003 selten gefehlt haben: Ganze 9 Prozent von 228 Insulanern fürchten demnach Einbußen. „Endlich bewegt sich was“, interpretiert Windmann Wolf.
Doch wie die Studien auch erfolgen, es gibt Konstanten: Deponien, Kraftwerke oder Schlote nerven stets mehr als Windparks, Einzelrotoren bemängeln nur wenige. Windfeinde über 55 klagen lauter als Atomkraftgegner mit Abitur, Großstädter eher als Provinzler. Windenergie als solche trifft generell auf Zustimmung. Wenigstens außerhalb des eigenen Sichtfelds.
JAN FREITAG
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