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PKK-Hardliner wieder an der Front

Neue Kämpfe zwischen PKK-Milizen und türkischen Truppen destabilisieren den Südosten der Türkei

ISTANBUL taz ■ Die Bilder wecken üble Erinnerungen. Soldaten schwärmen aus, Helikopter kreisen über den Hügeln, ein Dorf wird geräumt. Rund 5.000 Soldaten, meldet der Nachrichtenkanal CNN-Türk, sind an der türkisch-irakischen Grenze aufmarschiert, um aus dem Nordirak eingesickerte Kämpfer der kurdischen PKK-Kongra-GEL gefangen zu nehmen.

Wieder werden Grenzdörfer geräumt, damit Guerilleros der PKK dort keinen Unterschlupf finden können. Fast täglich kommt es zu Schießereien zwischen Militäreinheiten und kurdischen Milizen. Seit die PKK-Führung auf Anweisung ihres inhaftierten Führers Abdullah Öcalan den 1999 erklärten Waffenstillstand Anfang Juni für beendet erklärt hat, sind rund 100 Menschen getötet worden.

Noch ist in den Provinzen Siirt und Hakkari an der irakischen Grenze der Ausnahmezustand nicht wieder eingeführt, doch die Auswirkungen der Kämpfe machen sich besonders in den Dörfern bemerkbar. So sind die Dorfwächter – Angehörige kurdischer Stämme, die vom Militär bewaffnet wurden und als Hilfstruppen gegen die PKK ihr Unwesen trieben – teilweise reaktiviert worden. Sie waren in den letzten Jahren dafür verantwortlich, dass viele Flüchtlinge nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten.

Trotz der militärischen Eskalation ist eine Rückkehr zum Bürgerkrieg wie 1994 nicht zu erwarten. Das liegt an der veränderten politischen Situation. Die kurdische Bevölkerung genießt erheblich mehr Freiheit und Möglichkeiten zur kulturellen Entfaltung als früher. Entsprechend gering ist die Motivation, zu den Waffen zu greifen.

Dazu kommt die Schwäche der PKK. Die Organisation steht mit dem Rücken zur Wand. Sie ist militärisch und politisch gescheitert und hat im Nordirak keine Zukunft. Vor wenigen Wochen hat eine Gruppe unter Führung von Osman Öcalan, dem Bruder Abdullahs, in Mossul eine neue „Patriotische Demokratische Partei“ gegründet. Die PDP will weiter eine friedliche Lösung und setzt auf die EU-Integration der Türkei. Demgegenüber haben sich die Hardliner in der PKK gegen die EU-Perspektive entscheiden, weil sie fürchten, dass weitere Verbesserungen in den kurdisch bewohnten Gebieten der Türkei sie vollends marginalisieren würden.

Die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes sehen die Kader der PKK als letztes Mittel, sich als politischen Faktor in Erinnerung zu bringen. Ihre Forderung ist eine Amnestie für alle PKK-Mitglieder und die Möglichkeit einer legalen politischen Betätigung in der Türkei. Da Ankara kaum darauf eingehen wird, droht der Konflikt die Sicherheit und Stabilität im Südosten der Türkei erneut in Frage zu stellen.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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