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Strandgeschichte

4. Preis: Wie aus Sand eine Betonburg wird

von GUNNAR GRAH

Wissen Sie, wir sind zum ersten Mal an der Nordsee. Früher war das nicht so unser Ding, aber mit dieser al-Qaida überall mag man ja nirgends mehr hin. Und ich muss sagen, uns gefällt es hier. Erholung pur, man kann richtig die Seele baumeln lassen, wie man so sagt. Man braucht auch kaum etwas – zwei Liegen für Mutti und mich, der Kleinen reicht ein Handtuch. Sonnenschirm und Kühlbox, das war’s. Leider ist der Wind ein Problem, oder besser: der Sand. Unerträglich, wenn der so über den Strand fegt. Wie wenn man sandgestrahlt wird. Und nachher ist er überall, es hört gar nicht mehr auf zu rieseln. Schrecklich.

Ich habe mich mal umgeschaut, was die anderen denn gegen den Sand tun. Viele bauen Strandburgen. Also, keine Sandburgen, wie unsere Kleine sie macht, sondern große Burgen, in die man sich dann reinlegt. Also habe ich uns auch eine gebaut, ein richtiger Ringwall ist das geworden. Kammhöhe ein Meter dreißig und innen Platz für uns drei. Ist wirklich eine tolle Sache: Kein Sand um die Ohren, und das Meer rauscht drinnen auch nicht so arg.

Aber Sie werden es nicht glauben: Am nächsten Morgen liegen Fremde in unserer Burg. In unserer Burg! Wir haben das aber schnell klären können. Unblutig, wie man so sagt.

Danach habe ich erst einmal mit Muscheln auf unsere Burg geschrieben: „Reserviert bis 20. August!“ Seitdem hatten wir keine Probleme mehr mit Burgbesetzern. Ich habe noch aus Muscheln unser Landeswappen gelegt; man muss ja die eigene Fahne hochhalten, sozusagen. Und dann war da die Sache mit dem Meeresfrüchte-Büfett. Mutti ging es danach so schlecht, dass man es sich gar nicht mehr vorstellen mag.

Natürlich wollten die Kleine und ich nicht den ganzen Tag im Apartment rumsitzen, ist ja verständlich. Aber Mutti stöhnte immer nur: „Ich will einfach nur liegen.“ Da habe ich zu ihr gesagt: „Liegen kannst du auch am Strand.“

Mutti meinte aber, sie bräuchte unbedingt ein Klosett in der Nähe. Also habe ich neben unserer Burg noch eine kleinere hochgezogen. Tiefes Loch in die Mitte und zwei angeschwemmte Bretter drüber. Ein richtiger Donnerbalken war das, wie vor hundert Jahren oder so. Ich habe dann noch diese Campingklo-Flüssigkeit gekauft. Nach dem Geschäft muss davon nur ein Schwall hinterher, das bindet den Geruch ganz gut. Aber wenn man den ganzen Tag in seiner Strandburg liegt, ziehen sich die Tage doch ziemlich hin. Und die Hälfte der Zeit ist das Meer sowieso kilometerweit weg, was einem vorher auch niemand sagt. Jedenfalls haben wir im Apartment einen Fernseher. Den schaue ich mir eines Morgens an und sehe, dass der auch mit Autobatterie betrieben werden kann. Jetzt dürfen Sie mal raten. Ich habe den TV unter den Arm geklemmt und Mutti packte noch unsere Autobatterie mit ein, sie trägt ja nur die Handtücher. Ach ja, und die Liegen. Und das ist nun wirklich Lebensqualität. Fernsehen am Strand. Am Strand!

Ich hatte ja schon erzählt, dass wir in unserer Strandburg gut vor Sand geschützt sind. Aber die Burg selbst wird richtig abgeschliffen. Da braucht es täglich Ausbesserungsarbeiten, die eigene Burg soll ja nicht wie Sau aussehen. Aber an einem Morgen kommen wir hin und ich denke, ich sehe nicht recht. Da müssen Vandalen am Werk gewesen sein. Der Westwall der Hauptburg: komplett eingerissen. Die Kloburg sah ähnlich aus. Und unserem Wappentier haben die Schmutzfinken ein Riesengemächt dazugefügt. Sollte wohl witzig sein. Mir ist jedenfalls beinahe der Kragen geplatzt. Ich bin gleich losgezogen und habe Zement gekauft. Zum Glück darf man hier mit dem Auto auf den Strand, sonst hätte ich mit nur einem Sack auskommen müssen. Der Sand ist hier ziemlich fein, da bekommt man einen ganz ordentlichen Beton hin. Natürlich habe ich den Wall nicht massiv gemacht, ich bin ja nicht bescheuert. Eine anständige Betonarmierung reicht da völlig. Zwei Bierflaschen habe ich noch zerschlagen und die Scherben an der Außenseite verteilt. Sieht richtig schön aus, wenn die so grün in der Sonne funkeln.

Morgen reisen wir leider schon ab. Wir kommen aber wieder. Die Weite, das Meer – dieses Gefühl von Freiheit findest du einfach nirgendwo sonst.

Fotohinweis: Gunnar Grah, 28, arbeitet als Wissenschaftsjournalist und plant gerade eine Doktorarbeit über Wüstenameisen in Tunesien. Er lebt in Freiburg

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