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Entgrenzte Kunst und Eitelkeit

Das „Bodymobil“ wird Gaby Burlage auf ihrem Weg in die Unsterblichkeit begleiten. In Heidelberg wartet dann das Institut für Plastination auf ihren Leichnam. Gaby Burlage ist Körperspenderin. Ihr größter Wunsch: von Gunther von Hagens als Ganzkörperplastinat ausgestellt zu werden

Wer sich um die Leichenkühlung und sonstigen Formalitäten zu ihrer Körperspende kümmern wird, weiß Burlage noch nicht

VON CHRISTINE LÜBBERS

Wenn sie ihren Tod auswählen könnte, würde sie den Unfalltod vorziehen. Kurz und schmerzlos. „Am liebsten dann, wenn man nicht damit rechnet“, sagt Gaby Burlage, „doch das wäre für die Garantie der Plastination keine gute Bedingung.“ Das Institut für Plastination (IfP) in Heidelberg nimmt nur intakte Körper an. Schwer verstümmelte Leichen: ausgeschlossen. Leichen, denen eine Sektion durch die Rechtsmedizin oder die Pathologie vorangegangen ist, ebenfalls. „Dann hab’ ich eben Pech gehabt. Doch merken tue ich ja nichts mehr davon“, gibt sie freundlich zu verstehen.

Gaby Burlage hat einen schlanken, durchtrainierten Körper. Zu ihrer engen Jeans trägt sie einen blauen Pullover. Schlicht und unauffällig. Ein rotes T-Shirt blitzt aus dem Ausschnitt hervor. Ihren Lippenstift mag sie danach ausgewählt haben. Sie legt viel Wert auf ihr Äußeres. Ihr goldener, solariumgebräunter Teint strahlt mit den großen Creolen um die Wette. Trotzdem wirkt die 47-Jährige nicht aufgesetzt. Eher zurückhaltend und ausgeglichen. Ihre Stimme klingt sanft und wohlwollend.

Gaby Burlage ist begeisterte Sportlerin. Regelmäßig geht sie ins Fitnessstudio. „Sie trainiert fleißig, damit sie auch einen tollen Body in Heidelberg abliefern kann“, sagt ihr Lebensgefährte und lächelt. Er ist kein Befürworter ihrer Idee, ihren Körper nach dem Ableben der Plastination zur Verfügung zu stellen.

Vor zehn Jahren erkrankte Gaby Burlage schwer an Krebs. Es war nicht abzusehen, dass sie die Krankheit überleben würde. Durch das Fernsehen wurde sie damals auf die Körperwelten-Ausstellung von Gunther von Hagens und das von ihm entwickelte Plastinationsverfahren aufmerksam. Sie war neugierig und fuhr zur Ausstellung nach Köln. „Mir hat es so gut gefallen, dass ich auch Körperspender werden wollte.“ Zu Hause in Osnabrück füllte sie den Bogen zur Körperspende aus und schickte ihn an das IfP nach Heidelberg. Mit der Spende ihres kranken Körpers wollte sie einen wissenschaftlichen Zweck erfüllen, der die Krebsforschung voranbringen würde.

Das war im Jahr 2000. Mit ihrer Verfügung der Körperspende zur Plastination trat sie dem Bundesverband für Körperspender e. V. bei. Mittlerweile hat der Verein über 250 Mitglieder. Auslöser der Gründung des Vereins war das erste Körperspendertreffen in Köln, das vom IfP und unter der Leitung von Gunther von Hagens organisiert wurde.

„Wir wollten mit unserem laienhaften Wissen die Idee der Körperspende zur Plastination voranbringen und die Arbeit von Gunther von Hagens unterstützen“, sagt Peter Rosenthal, erster Vorsitzender des Vereins und Gründungsmitglied. Der Verein versteht sich als Symposium und Netzwerk von Körperspendern, das die Plastination favorisiert. Viele Angehörige von Körperspendern seien gegen die Plastination und hätten Vorbehalte gegen die Praktiken von Gunther von Hagens. Daher sei es notwendig, einen Austausch zwischen den Spendern zu ermöglichen, wenn keine Unterstützung von zu Hause kommt, sagt Rosenthal.

Auch Gaby Burlage ist eine Einzelkämpferin. „Niemand von meiner Familie oder meinen Freunden findet es gut. Keiner würde es machen“, sagt sie. Ihr Lebenspartner findet die Körperwelten-Ausstellung fürchterlich, obwohl er das Plastinations-Verfahren für Medizin und Forschung für wichtig hält. Wie er können sowohl ihre Geschwister als auch ihre Mutter die Entscheidung zur Körperspende nicht nachvollziehen; sie respektieren aber ihren Wunsch.

Auch wenn ihr Krebs heute geheilt ist, hält sie an der Körperspende fest. Sie ist davon überzeugt, dass das der richtige, letzte Weg für sie ist. Gaby Burlage findet den Gedanken wunderbar, als Plastinat in einer Ausstellung zu stehen und angeschaut zu werden. Sie begreift dies als eine Mischung aus medizinischer Aufklärung und Kunst. „Natürlich hat das auch etwas mit meiner Eitelkeit zu tun. Für mich ist so ein Plastinat auch ein Stück Unsterblichkeit“, sagt sie. Ihre Augen funkeln.

Kunst hat für sie keine Grenzen. Die bekannte Figur „Reiter mit Pferd“ aus der Körperwelten-Ausstellung findet sie ästhetisch und künstlerisch schön. Und selbst wenn ihr Körper mit einem männlichen Plastinat beim Geschlechtsakt inszeniert werden sollte, fände sie es nicht unangebracht. Im Gegenteil. „Das ist doch schön. Hauptsache, es wird so viel wie möglich von mir plastiniert.“

Nicht nur aus Eitelkeit, sondern auch aus Kostengründen wird dabei oft der Körperspende zugestimmt. Schließlich entfallen dadurch Kosten für ein konventionelles Begräbnis. Es gibt keinen Sarg, auch kein Grab. Niemand muss für die Pflege aufkommen. Selbst Bestatterkosten werden im günstigsten Fall gespart, wenn der Leichnam zu Hause auf sechs Grad runtergekühlt werden kann und nicht zwangsläufig zur Kühlung einem Beerdigungsinstitut übergeben werden muss. Doch meistens ist dies unmöglich. Die anschließende Überlieferung ins IfP nach Heidelberg oder zur Zweigstelle nach Guben an die deutsch-polnische Grenze erfolgt mit dem institutseigenen Bodymobil. In der Regel holt der deutschlandweit eingesetzte Leichenwagen die Körperspender innerhalb von drei Tagen kostenlos ab.

Wer sich um die Leichenkühlung und die sonstigen Formalitäten zu ihrer Körperspende kümmern wird, weiß Gaby Burlage noch nicht. Sie ist das jüngste Mitglied der Familie und wird aller Voraussicht nach alle überleben. Es wird niemand da sein, der ihr Grab auf einem Friedhof pflegen würde. Die Körperspende ist zwar deshalb eine „vernünftige Lösung“, wie sie sagt, doch das ist nicht das Motiv ihrer Entscheidung. „Den Gedanken, nach meinem Tod irgendwo zu liegen und von Würmern aufgefressen zu werden, finde ich ekelig. Da ist es doch viel schöner, ein dauerhaftes Plastinat zu werden“, sagt sie.

Gaby Burlage ist nicht religiös. Sie glaubt nicht an Gott. Auch nicht an ein Leben oder an das Fortbestehen der Seele nach dem Tod. Angst vor dem Sterben hat sie nicht. Sie hat nur die einzige Sorge, dass man ihren Wunsch nicht erfüllt. Daher will sie ihre Verfügung zur Körperspende notariell beglaubigen lassen.

Ob es eine Trauerfeier geben wird? „Wenn, dann sicherlich nicht in der gewöhnlichen Form, dass alle um meinen Sarg herumstehen und weinen“, sagt sie. Eine interne, kleine Feier, an der alle ihre Liebsten teilnehmen werden, wünscht sie sich aber schon. Nur einen Sarg wird es nicht geben. Auch keinen Friedhof, keinen Ort der Trauer und keinen des Abschiednehmens. „Gaby Burlage ist auf eigenen Wunsch ins Institut für Plastination nach Heidelberg überführt worden“, wird ihre Todesanzeige vermelden. Wird ihr Wunsch erfüllt, sieht man sie wieder: als Ganzkörperplastinat in einer der Ausstellungen von Gunther von Hagens.

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