: Sandino dröhnt nicht mehr
In der nicaraguanischen Kaffegenossenschaft Sopexcca arbeiten Ex-Contras und Ex-Sandinisten erfolgreich zusammen. Die Leiterin, Fatima Ismael, legt Wert darauf, dass der Kaffee nicht nur fair bezahlt wird, sondern auch schmeckt
von ANNETTE JENSEN
Seit frühmorgens war Fatima Ismael pausenlos unterwegs, auf dem Flur vor ihrem Zimmer lärmen Leute. Dennoch blickt die Chefin der nicaraguanischen Kaffeegenossenschaft Sopexcca entspannt und konzentriert durch ihre ovale Brille. Die schwarzen Haare hat sie zu einem strengen Zopf zusammengebunden, ihre weiße Bluse ist tadellos gebügelt. Das Büro in der Kleinstadt Jinotega, in dem die Frau mit den arabischen Vorfahren arbeitet, ist winzig. In einer Ecke steht ihr Computer, gegenüber ihr Bett mit Rüschendecke. An der Wand hängt ein Foto ihres elfjährigen Sohnes, der vor einem Che-Guevara-Plakat posiert; nur am Wochenende hat Fatima Ismael Zeit, ihn bei ihrer Mutter zu besuchen.
„In den vergangenen Jahren hat sich sehr viel geändert“, sagt die Geschäftsführerin ohne Bedauern. Früher, das heißt in den 80er-Jahren, galt es als politischer Akt, Kaffee von Kleinbauern aus Nicaragua zu trinken. Der Genuss bestand darin, sich solidarisch mit der sandinistischen Revolution zu fühlen – und so akzeptierten die Kunden auch lausige Qualität. „Heute geben wir den Kaffee an die Produzenten zurück, wenn er minderwertig ist“, stellt Fatima Ismael klar. Vor allem aber unterstützt die Genossenschaft ihre Mitglieder dabei, Anbau- und Erntemethoden zu verbessern.
Nebenan im Labor hat sich Marbely Lopez im Labor eingeschlossen. Sie tunkt ihren Löffel in ein Glas mit kaltem Kaffee. Ein schnelles, lautes Schlürfen – Pause. Die 22-Jährige notiert ihr Urteil auf einem Zettel. Niemand soll sie stören, wenn sie mit Nase, Zunge und Gaumen die gerade angelieferten 40 Kaffeesorten auf Säuregrad, Fülle und Nachgeschmack testet. Schon zwei Stunden vor der Verprobung hat sie nichts mehr gegessen, Zigaretten und Alkohol sind sowieso tabu.
„Ich helfe den Bauern, das Beste aus ihren Möglichkeiten zu machen“, erklärt die junge Frau, die schon bei mehreren internationalen Kaffeewettbewerben in die Jury berufen wurde. Marbely Lopez schmeckt sogar, ob ein Kaffee in 1.000 oder 1.100 Meter Höhe gewachsen ist und ob die Kaffeekirschen vor dem Schälen zu lange liegen geblieben sind.
Sobald die gesamte Kaffeeernte verschifft ist, klappert sie nach und nach die weit verstreuten Dörfer ab, in denen die 450 GenossInnen leben – allesamt Kleinproduzenten aus der Region Jinotega, von denen viele nur einige Sack pro Jahr ernten. Marbely Lopez berichtet ihnen, was sie festgestellt hat, und macht Verbesserungsvorschläge. Der Erfolg lässt sich sehen: Zwei Bäuerinnen und ein Bauer haben im letzten Jahr Preise beim Wettbewerb „Taza de Excelencia“ gewonnen – die wichtigste nationale Auszeichnung.
Doch nicht nur die Qualität der legendären „Sandino-Dröhnung“ hat sich in den vergangenen 20 Jahren extrem verbessert. Grundlegend gewandelt hat sich auch die politische Perspektive. Heute eint die 315 Genossen und 135 Genossinnen ein tiefes Misstrauen gegen alle „da oben“ – egal ob es sich um den sandinistischen Parteichef Ortega oder den aktuellen Staatspräsidenten Bolanos handelt. „Wir hier unten sind zusammen arm geblieben, während sie in edlen Häusern leben und Whisky trinken“, befindet Victor Gonzales. Er ist einer aus dem fünfköpfigen Vorstand – ein erstaunlich zusammengesetztes Gremium: Zwei von ihnen haben im Bürgerkrieg der 80er-Jahre aufseiten der Contra gekämpft, drei haben die sandinistische Revolution verteidigt. Doch das steht einer engen Zusammenarbeit oder Freundschaften nicht mehr im Wege.
Einen erheblichen Anteil daran hat Fatima Ismael, die Geschäftsführerin. Sie hat bei Sopexcca die unumstrittene Führungsposition inne – völlig ungewöhnlich in dem von Machismo tief geprägten Land. „Wir haben von ihr gelernt, dass nicht nur Männer die Kapazität haben, eine solche Firma zu leiten“, sagt der gewählte Vorstandspräsident Leonardo Valle anerkennend. Fatima Ismael hat eingeführt, dass alles transparent sein muss. Nicht nur die politische Vergangenheit der Mitglieder. Auch die Abrechnungsbücher sind für alle Genossen jederzeit einsehbar. Generalvollmachten gibt es nicht mehr; gehandelt wird nur noch auf Grundlage konkreter Absprachen. Jeder Beschluss wird dokumentiert. Noch immer zahlt Sopexcca die Schulden, die die korrupte Leitung der Vorgänger verursacht hat – so was soll nie mehr vorkommen.
Außerdem ist es Fatima Ismael gelungen, stabile Beziehungen zu „fairen“ Kaffeeimporteuren in Europa und den USA aufzubauen. Dadurch kann Sopexcca 60 Prozent der Ernte doppelt so teuer absetzen wie auf dem Weltmarkt, wo das Preisniveau so niedrig ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Viele Bauern in Nicaragua können nicht einmal mehr ihre Kosten decken, und die Zwischenhändler nutzen die Notlage zusätzlich aus, indem sie den Preis weiter drücken. Sie wissen, dass die Produzenten verkaufen müssen, wenn sie mit ihrem Kaffee in die Stadt kommen: Oft haben diese nicht einmal mehr das Geld für die Rückfahrt in der Tasche. Eine ganze Reihe Kaffeebauern haben ihre Plantagen aufgegeben. Manche sind ins Ausland gegangen, die meisten von ihnen leben inzwischen am Rande der Städte in Bretterverschlägen und versuchen, sich als Händler durchzuschlagen. Ihre Lage ist verzweifelt, viele sind völlig unterernährt.
Dank der gemeinsamen Vermarktung sieht es für die GenossInnen von Sopexcca deutlich besser aus. Niemand musste bisher aufgeben, und alle Kinder der Sopexcca-Mitglieder gehen zur Schule – durchaus keine Selbstverständlichkeit in Nicaragua, wo die Analphabetenrate inzwischen wieder bei 35 Prozent liegt.
In Dörfern, in denen die Genossenschaft viele Mitglieder hat, profitieren auch andere. Zum Beispiel in La Virgen. Drei Stunden rumpelt der Bus über eine Schotterpiste voller Schlaglöcher, bevor er die winzige Ortschaft erreicht. Strom gibt es im Umkreis von 30 Kilometern nicht, und ein Postbote ist hier noch nie aufgetaucht. Eine neue Schule sei hier überflüssig, hatte das Erziehungsministerium beschieden; schließlich gebe es in der Region bereits drei öffentliche Gebäude. Dennoch steht seit kurzem oberhalb der Bushaltestelle ein gemauertes Haus mit zwei Klassenzimmern. Errichtet haben es die Männer aus dem Dorf, damit die Kinder der vierten bis sechsten Klasse nicht mehr täglich eineinhalb Stunden Fußmarsch vor dem Unterricht zu bewältigen haben. Finanziert wurde das Baumaterial auch aus der Sopexcca-Gemeinschaftkasse, in die ein Teil des „fairen“ Mehrpreises fließt.
Juana Pineda lebt etwa eine halbe Stunde von der Bushaltestelle entfernt. Sie ist erst seit einem Jahr Mitglied bei Sopexcca. Lange hatte sie gezögert beizutreten. Organisationen sind ihr zutiefst suspekt, seit sich im Bürgerkrieg mal Männer von der einen, mal von der anderen Seite bei ihr einquartierten und sie dauernd Angst hatte, es käme in ihrem Haus zu einer Schießerei. Doch die guten Erfahrungen ihrer Nachbarn, der Schulneubau und vor allem eine von Fatima Ismael geleitete Frauenversammlung vor Ort haben Juana Pineda überzeugt, schließlich doch der Sopexcca beizutreten.
Auch sie weiß von Menschen, die fortgehen mussten, weil sie von den Erträgen auf dem Land nicht mehr leben konnten. Unvorstellbar für sie, die Heimat zu verlassen. Hier ist sie geboren, hier hat sie ihre Kinder zur Welt gebracht, und hier möchte sie sterben. Zusammen mit zwei Töchtern, zwei Söhnen, einem Neffen, zwei Enkeln und dem Schwiegersohn lebt Juana in einem Zwei-Zimmer-Holzhaus. Ein klappriger Schrank, ein Tisch, eine Bank und vier Betten mit durchgelegenen Matratzen sind das einzige Mobiliar. Jeden Tag essen sie Maistortilla, Bohnen, Reis und gelegentlich ein paar Kochbananen. Dazu gibt es selbst gebrannten Kaffee mit viel Zucker – sogar schon für die einjährige Enkelin. Das Geld, das Juana für die 27 Quintal Rohkaffee eingenommen hat (ein Quintal sind 46 Kilo), muss für ein ganzes Jahr reichen. Bei Sopexxca gab es dieses Jahr pro Quintal umgerechnet 56 Euro, macht gut einen Euro pro Kilo, die Zwischenhändler boten gerade einmal 38 Euro. Ohne die Altschulden, die Sopexccaa immer noch abtragen muss, wäre die Differenz noch größer. „Sicher, wir sind arm“, räumt die 42-Jährige ein. Doch immerhin gehen ihre Kinder zur Schule, und alle haben genug zu essen. Und wenn in drei Jahren die neuen Kaffeepflanzen tragen, die Juana Pineda mit Hilfe eines von Fatima Ismael organisierten Frauenprojekts angepflanzt hat, dann kommt vielleicht ja mal wieder etwas mehr Geld rein.
Sopexcca wächst – und manche Kaffeehändler aus der Gegend werden langsam nervös. Mit der Unterstellung, die Genossenschaft schließe Knebelverträge ab, versuchen sie Misstrauen zu säen. Wenn Fatima Ismael das mitbekommt, lädt sie die Bauern ein, sich selbst zu informieren.
„Bisher exportieren wir nur 13 Container Rohkaffee – das ist nicht viel. Aber vielleicht könnten wir ja ein Vorbild für andere werden“, beschreibt sie ihre Hoffnung. Und dann bringt sie 25 Jahre Lebenserfahrung auf den Punkt: „Was zählt, ist das funktionierende Beispiel – nicht die Ideologie.“
Fair gehandelten Kaffee gibt es in Weltläden, in einigen Supermärkten und bei El Puente (www.el-puente.de), El Rojito (www.el-rojito.de), Dritte Welt Partner (www.dwp-rv.de) und Gepa (www.gepa3.de)
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