philipp maußhardt über Klatsch
: Bedauernswerte Gestalten

Kaum ein Medienbesitzer ist gegen den Machtvirus geimpft. Das Krankheitsbild ist grauenhaft

Die Weihnachtsfeiern beim Schwäbischen Tagblatt, dessen Redaktionsräume direkt über dem Tübinger Neckar gelegen sind, waren einmal legendär: Gegen Ende des Umtrunks und nachdem der Verleger Christoph Müller eine launige Rede gehalten hatte, wurde der Adventskranz in Brand gesetzt und unter dem johlenden Gesang der Redaktion („Schmiert die Rotationen mit Verlegerblut“) zum Fenster hinaus ins Wasser geworfen. Anderntags saßen alle wieder am Schreibtisch und taten, als wäre nichts gewesen.

Es gäbe noch viele lustige Anekdoten über jene Provinzzeitung zu erzählen, die einmal zu den meistbeachteten Käseblättchen dieser Republik zählte. Das Schwäbische Tagblatt war nicht trotz, sondern wegen seines Verlegers eine muntere, spannende, täglich Geist und Seele erfrischende Lektüre. Walter Jens ist mein Zeuge. Aber so, wie das heutige Tagblatt nichts mehr mit dem Tagblatt vergangener Jahre zu tun hat, so wenig hat der junge Tausendsassa Müller mit der alternden Diva Müller etwas zu schaffen. Irgendwann war dem Verleger das Geld, das er für seine private Kunstsammlung benötigte, wichtiger als der Geist der Redaktion. Und so ist das sich hartnäckig haltende Gerücht, Müller suche zurzeit nach einem Käufer für seine defizitäre Zeitung, eigentlich nicht wirklich bedauernswert.

Verleger sind mitunter bedauernswerte Gestalten. So herum stimmt es. Weil die Ausübung ihres Berufes sie allmählich und ganz langsam mit einem Virus infiziert, der unheilbar ist. Für sie selbst unmerklich zerstört er mit den Jahren erst ihre anfänglich liberale Grundhaltung (sofern sie eine hatten), dann schrumpfen die sozialen Kontakte zu Menschen aus Fleisch und Blut auf ein Minimum, und zuletzt halten sie sich für den Herrgott, notfalls auch für das Herrgöttle von Biberach. Die mit den Jahren einherschreitende psychische Deformation ist für Außenstehende nicht sofort und nicht immer leicht zu bemerken.

Beim Münchner Verleger Hubert Burda ist sie mir erstmals bei einer völligen Nebensächlichkeit aufgefallen: bei seinem Fahrstuhlverhalten. In seinem Verlagsgebäude gibt es drei Lifte. Ist Burdas Wagen nur noch wenige hundert Meter vom Verlag entfernt, lässt der Verleger vom Chauffeur den Pförtner anrufen, damit dank einer eigens eingebauten Schaltung einer der Aufzüge sofort zum Erdgeschoss geordert wird. Ein Verleger wartet nicht auf einen Aufzug! Mehrfach geschah es mir, dass ich – fast schon das fünfte Geschoss erreicht – wie von Wunderhand wieder zur Erde gezogen wurde. Da weiß der Angestellte, was sein Wert ist.

In Köln führt Seniorverleger Alfred Neven DuMont sein Medienimperium wie einen byzantinischen Frisiersalon. Als König Alfred der Unberechenbare noch im Verlagsgebäude in der Kölner Innenstadt residierte, gefiel es ihm, missliebige Redakteure aus dem „Hinterhaus“ zu sich ins „Vorderhaus“ zu beordern. Dort mussten sie erst einmal wie Sünder auf einem Bänkchen im Flur warten, ehe er sie hereinbitten ließ und dann zusammenschiss.

Selbst auf die eigenen Kinder muss das Machtgebaren der Verlegerväter eher abschreckend wirken. Anders ist kaum zu erklären, warum in vielen Fällen ein Generationenwechsel in Verlegerfamilien nur knirschend klappt. Mit der Gründung einer Aktiengesellschaft kam Axel Springer diesem Dilemma zuvor, und Thomas Kirch, den nicht einmal sein eigener Vater ernsthaft als Nachfolger in Betracht zog, wird aufgeatmet haben, als Papa endlich bankrott war. Jetzt muss er das Imperium wenigstens nicht übernehmen.

Gleiches Elend bei den Friedmanns in München (Abendzeitung, Süddeutsche Zeitung). Dort muss die alte Verlegerin Annelie Friedmann noch immer den Laden schmeißen, weil ihre Kinder weder wollen noch können. Und Sohn Konstantin Neven DuMont, inzwischen auch schon 35 Jahre alt, steckt noch immer oder schon seit Jahren bis zum Hals in den Startlöchern.

Die herangewachsene neue Verlegergeneration ist vor allem am Geld interessiert, das ein Medienbetrieb abwirft oder zumindest bald wieder abwerfen soll, und insofern ist ihre Haltung ehrlicher als die ihrer Väter, die ihr monetäres Interesse mit angeblichem Engagement für eine freie Publizistik verbrämten. Die Pressefreiheit war in der Bundesrepublik in den Hinterhäusern der Redaktionen schon immer besser aufgehoben als im „Vorderhaus“.

Vor vielen Jahren hat der kinderlose Verleger Christoph Müller aus einer Laune heraus seine Zeitung der eigenen Redaktion als Erbe vermacht: Womöglich auf einer dieser legendären Weihnachtsfeiern versprach er: „Des krieget älles einmal ihr.“ Aber es war nur ein Spaß.

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