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kommentar„Die Einschläge kommen näher!“

Warum eine Redewendung aus dem Ersten Weltkrieg Karriere macht

In den Schützengräben des Ersten Weltkriegs machten Soldaten – erstmals in der Geschichte der Menschheit – die frustrierende Erfahrung, nicht persönlich aufeinander losgehen zu können. Stattdessen waren sie pausenlos einer anonymen Artillerie ausgesetzt, einschätzbar nur durch Wucht und Klang der Einschläge ihrer Geschosse.

„Die Einschläge kommen näher“, heißt es heute wieder, wenn Bekannte arbeitslos geworden sind oder ihren Zahnersatz nicht mehr erstattet bekommen. Wenn Thomas plötzlich Strafe zahlen muss, weil er sich Musik illegal aus dem Netz geladen hat? Klar, die Einschläge kommen näher. „Die Einschläge kommen näher“, wenn Terroristen in Beslan oder Madrid zuschlagen. Otto Schily sagt eigentlich nie etwas anderes, nur wortreich verklausuliert. Sogar Udo Jürgens (70) hörte im Stern-Interview metaphorisch „die Einschläge“ seiner künftigen Gebrechlichkeit nahen.

Es ist die perfekte Redewendung für das diffuse Bedrohungsgefühl in einer Gesellschaft, die sich gesichtslosen Gefahren ausgesetzt sieht – seien sie terroristischer, sozialer oder gesundheitlicher Natur. Die militärische Metapher aus einer Zeit, als das industrialisierte Morden selbst den eigenen Tod zum Gegenstand der Entfremdung machte, passt auf das entfremdete Leben unserer Tage allemal.

Dass die Erschütterungen näher kämen, ist übrigens eine mediale Täuschung – wir haben einfach zu empfindliche Seismografen. ARNO FRANK

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