piwik no script img

Saufen gegen rechts

Ungebrochen gegen das amerikanische Imperium, gegen Neonazis und Bullenschweine: Der politisch motivierte Punkrock ist auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert nicht tot. Im Gegenteil: Heute ist die Szene global vernetzt, in diffuser Anti-Haltung vereint und in ihrem Spaß am Alkoholmissbrauch

Mit dem, was in den Charts unter Punk läuft, hat die reale Szene wenig zu tun

von THOMAS WINKLER

Ein beliebiger Tag im deutschen Blätterwald: Die Ostseezeitung in Rostock meldet von einem Punk-Treffen in Berka/Werra: „Abfall und Unrat dominierten das Gelände.“ In der Internet-Postille netzeitung ist zu lesen, dass die altehrwürdigen Sex Pistols drei Konzerte abgesagt haben – grundlos. Die Berliner Zeitung meldet, dass nach einem Punkkonzert in Berlin-Friedrichshain fünf Polizisten verletzt und „mehrere Einsatzfahrzeuge beschädigt“ wurden: Aus dem ehemals besetzten Haus, in dem ein Konzert mit mazedonischen, italienischen und israelischen Hardcore-Bands unter dem Motto „Wir bleiben unregierbar“ stattfand, flogen Steine, Flaschen, „Möbel und Einrichtungsgegenstände“. Die Ordnungskräfte „setzten Schlagstöcke und Pfefferspray ein“. Und im Briefkasten wartet schließlich die Spex. Dort darf der Sänger einer mittelguten, rückwärts gewandten Band wie The Coral unwidersprochen sagen: „Wer es heute noch nötig hat, sich als Punk zu bezeichnen, der ist ein Idiot.“

Kurz gesagt: Der Leumund von Punk ist nicht der allerbeste. Aber: Die zuständigen Idioten sehen das natürlich anders. „Punk ist nur ein Wort“, sagt Colin Jerwood, „eine Möglichkeit, sich auszudrücken.“ Jerwood muss es wissen, denn als Sänger und Fixpunkt der legendären Londoner Band Conflict hat er mittlerweile gut zwei Jahrzehnte Punk und Politik hinter sich. „There’s No Power Without Control“ (Jungle / EFA) heißt das aktuelle Album der überzeugten Anarchisten. Es ist das erste seit zehn Jahren.

Mehr als 20 Jahre Bandgeschichte sind nicht spurlos vorbeigegangen an Conflict. Die letzte Single „Carlo Guiliani“ hat zwar mit dem Toten der Demos zum G-8-Gipfel 2001 in Genua ein geradezu klassisches Thema für einen Conflict-Song, aber wird als multimediale AV-CD veröffentlicht, mit dem zugehörigen Video in verschiedenen technischen Formaten. Dass dies die weltweit erste Veröffentlichung in diesem avancierten Format sein soll, behaupten Conflict nicht ganz ohne Stolz.

Überhaupt ist der Videoclip der allererste in der Bandgeschichte von Conflict, die geprägt ist von Auftrittsverboten, Krawallen bei Konzerten und juristischen Auseinandersetzungen. Das kleine Filmchen ist ein Zugeständnis an das MTV-Zeitalter. Allerdings: Die Band selbst taucht im Clip nicht auf. Stattdessen wurden Aufnahmen von Polizeigewalt in Genua zusammengeschnitten. Fraglich also, ob „Carlo Guiliani“ jemals den Weg in die Rotation eines Musik-Senders finden wird.

Dort tummeln sich andere, die ebenfalls als Punks bezeichnet werden. Sie nennen sich Sum 41 oder Blink 182, spielen Hochgeschwindigkeits-Pop, haben ihre Gitarren auf Kniehöhe hängen und flotte Stachel-Frisuren, über die man sich nicht wunderte, würden sie demnächst auch auf dem Kopf von David Beckham auftauchen. In diesem Milieu und für Millionen von minderjährigen Fans gilt selbst eine Avril Lavigne, die sich in freundlichen Pop-Songs über allzu komplizierte Jungs beklagt, als Punk-Prinzessin.

Für Conflict-Sänger Colin Jerwood dagegen heißt schon einen Videoclip zu drehen, „sich bis zu einem gewissen Punkt auf das System einzulassen“. Er hofft, damit „nicht mehr nur das immer gleiche Publikum zu erreichen“. Es soll also um mehr gehen als nur um „preaching to the converted“.

Zu den bereits Überzeugten wird derweil auf einem Feld am Rande von Behnkenhagen gepredigt, einem klitzekleinen Ort in der Nähe von Rostock. Zum Force-Attack-Festival strömen alle, die wissen, wie man ein Hosenloch mit einer Sicherheitsnadel flickt: Träger gewaltiger Mohawks in schillernden Farben, Skater-Punks in elefantengroßen Shorts, Oi!-Skins und Uralt-Punks, Psychobillies und picklige Langhaarige in T-Shirts von Death-Metal-Bands. Dreißig Zentimeter lange Stacheln ragen kunstvoll und quietschbunt gefärbt von Köpfen ab, und junge Mütter in Schottenröcken wiegen Babys mit roten Irokesen im stumpfen 4/4-Takt. Was die bunte Menge hier vereint, ist ein jeweils sehr individuell interpretiertes Anderssein. Der einzige Konsens: gegen Rechts.

Der Freitag ist noch jung, die Hitze drückend, die Stimmung gut und Bier, ausschließlich Bier, fließt bereits in Strömen. An den Ständen, die das Festivalgelände begrenzen, kann man sich tätowieren lassen, Nietenarmbänder in allen Größen und Formen kaufen oder eine tibetische Kartoffel-Pilz-Pfanne essen. Die Wiese vor den beiden Bühnen ist frisch gemäht, alle paar Meter findet sich ein getrockneter Kuhfladen. Manchmal bleibt jemand stehen, beugt sich etwas nach vorne, setzt eine Kotzlache neben den Fladen und geht weiter.

Unweigerlich drängt sich der uralte Kalauer wieder auf, vom Punkrock, der zwar nicht tot ist, aber doch schon seltsam muffelt. Auf den beiden Bühnen wiederholt sich im Wechsel weitestgehend das gleiche Schauspiel. Eine Band, die meistens aus zwei Gitarristen, Bassist und Schlagzeuger besteht, entert die Bühne, murmelt kurz etwas wie „Wir sind ZSK“ oder „We are Antidote“, und beginnt dann, ein Schrammelpunkprogramm durchzuziehen, wie man es seit 1979 ausgestorben wähnte. Ausnahmen wie Mad Sin mit ihrem Psychobilly oder die Kieler Crossover-Band Smoke Blow, die mit zwei Rappern agiert, bestätigen die Regel, dass sich Punkrock auch nach einem Vierteljahrhundet Existenz in seiner reinsten, ursprünglichsten Form offensichtlich immer noch großer Beliebtheit erfreut – vor allem unter jungen Menschen mit Hang zum exzessiven Alkoholkonsum.

Manche Band baut ein paar Hinweise auf verhasste Politiker (Tony Blair) ein oder wirft das eine oder andere Schlagwort (Revolution) ins Publikum. Claus „Fabsi“ Fabian von den Mimmi’s aus Bremen, der längst stramm auf die Fünfzig zumarschiert, berichtet seinem Publikum vom letzten Absturz: „Mann, waren wir breiiiit!“

Als Conflict nach Mitternacht auf die Bühne gehen, hat sich ein guter Teil des Publikums bereits entkräftet auf die Luftmatratze im Zeltlager zurückgezogen. Wortlos prügeln sich Jerwood und Konsorten, allesamt in strenges Schwarz gewandet, durch ihren Auftritt. Ihre Songs sind gewalttätige Hochgeschwindigkeitsepen ohne eingängige Refrains, in denen die britische Regierung und das amerikanische Imperium, Tierversuche und Vegetarismus, Kapitalismus und Anarchie, Globalisierung und Imperialismus verhandelt werden. Während Conflict am Ausbruch eines „civil war“ arbeiten, wandern Flaschen mit der braunen Limonade eines weltweit operierenden Getränkeherstellers aus Atlanta durchs Publikum.

Der Macht der Konzerne begegnet der politisierte Punk dieser Tage mit einer immer intensiveren internationalen Vernetzung. Das Internet macht es möglich, über Mailorder Platten aus aller Welt ebenso zu bestellen wie Poster, nietenbesetzte Gürtel, Anstecker mit dem A im Kreis und die einschlägige Literatur. Auf Websites diskutieren die Gläubigen die politische Wirkung von drei Akkorden ebenso wie eine sozial verträgliche Eintrittspreisgestaltung. Überall auf der Welt gibt es kleine Clubs, Agenturen, Labels und Veranstalter. Bands, die sich die Anarchie auf die Fahnen geschrieben haben, kommen aus Italien (Transgenico Caos Punx), Belgien (Ulrike’s Dream), Schweden (Go Get Riot), Frankreich (20 Minutes de Chaos), den Niederlanden (Censored), natürlich aus den USA (Anti-Nation) und aus Großbritannien (Confrontation), aus Peru (Epidemia Punk), aus Chile (Falsa Esperanza) und sogar aus dem schwäbischen Burladingen (Cluster Bomb Unit).

Jerwood glaubt, vor allem die weltweit geführte Globalisierungsdebatte führe der Bewegung Nachwuchs zu: „Mehr junge Menschen als noch vor einigen Jahren werden politisiert, aber diese Entwicklung geht an den Parteien vorbei.“

Den Suchenden bietet Punk, dessen hervorstechendstes Charaktermerkmal immer noch eine allumfassende Verweigerungshaltung ist, eine ein Vierteljahrhundert erfolgreich erprobte Ausdrucksmöglichkeit: „Punk ist für viele nur die Gelegenheit, ihre Abscheu gegen alles auszudrücken. Andererseits: Zu sagen, dies ist falsch, das passt mir nicht, allein das ist doch auch schon ein politischer Akt.“ Der nächste Schritt, glaubt Jerwood, führt zwangsläufig zu einer Politisierung. Diese Entwicklung kennt er aus seiner eigenen Vergangenheit, sie bestimmt noch heute seine Band: „So seltsam das klingen mag: Wir verabscheuen Politik, also singen wir gegen Politik. Das macht uns wiederum politisch.“

Doch während Jerwoods Texte mit einer Fülle an Informationen und Detailreichtum aufwarten, wird beim Festival nur selten versucht, diese diffuse Anti-Haltung zu konkretisieren. Die politischen Stände sind klar in der Minderheit, die Ansagen der Bands beschränken sich auf das pauschale Verurteilen von bekannten Lieblingsfeinden wie Neonazis und Bullenschweinen. Ein bekannter Punk-Klassiker von Sham 69 ist beliebtes Cover-Material: Während „If the kids are united/They will never be divided“ übers Gelände schallt, vergnügt sich ein Drittel des Publikums mit einer in aller Freundschaft geführten Bierbecherschlacht. „Punk zu sein findet im Kopf statt, nicht auf dem Kopf“, hatte Conflict-Bassist Paul Hoddy am Nachmittag noch trotzig ausgeführt. „Man muss keinen grün gefärbten Irokesen haben, um ein Punk zu sein.“ Aber zumindest ein Bier in der Hand halten, so scheint es jedenfalls in Behnkenhagen.

So diffus der Widerstand auch daher kommt, die Ordnungshüter sind alarmiert. Bereits Kilometer vor dem Festivalgelände wird jeder mit einem Loch im schwarzen T-Shirt ausführlich kontrolliert. Klapprige Automobile werden genauestens inspiziert. Die Einsatzkräfte sind in voller Kampfmontur erschienen, generalstabsmäßig organisiert, und über dem Gelände kreist beständig ein Polizei-Hubschrauber. So trägt die Staatsmacht unverdrossen zum Selbstverständnis der Festivalbesucher bei, sie seien potenzielle Staatsfeinde.

Samstagvormittag in Rövershagen, wenige Kilometer entfernt vom Festivalgelände: Vor dem „Getränke-Partner“ erschrecken schnorrende Punks die einheimische Bevölkerung. Drei vielleicht 16 Jahre alte Punks aus der Schweiz stärken die lokale Ökonomie und erwerben einen Kasten Henninger, eine Dose Ravioli und eine Packung West.

Ihre Irokesen sind frisch gefärbt. Noch zwei Tage Force Attack-Festival, aber die Frisur sitzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen