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Das Recht auf eine Toilettentür

Ein Exhäftling will den Staat erziehen. In der überbelegten Zelle sei seine Intimsphäre nicht geschützt gewesen. Deshalb verlangt er Schmerzensgeld. Nun muss der Bundesgerichtshof entscheiden

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

„Auch der Staat muss lernen, dass es Folgen hat, wenn er das Recht missachtet“, sagt der ehemalige Häftling Andreas Hinderberger. Deshalb soll die Unterbringung in einer überbelegten Zelle stets zu Schmerzensgeldansprüchen führen. Über die Klage verhandelte gestern der Bundesgerichtshof (BGH).

Nur zwei Tage musste der 27-Jährige in der Justizvollzugsanstalt Hannover eine 16 Quadratmeter große Zelle mit vier anderen Häftlingen teilen. Hinderberger beschwerte sich anschließend und bekam Recht. Die Unterbringung habe seine Menschenwürde verletzt, erklärte das Hannoveraner Strafvollstreckungsgericht, vor allem weil die Zellentoilette nur mit einem Sichtschutz abgetrennt war. „Wenn einer auf dem Klo war, haben die anderen alles gehört und gerochen“, erinnert sich Hinderberger.

Doch der verurteilte Betrüger ging noch einen Schritt weiter, er wollte nun auch Schmerzensgeld haben. 200 Euro sprach ihm daraufhin das Landgericht Hannover zu. Allerdings hob die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Celle, das Urteil wieder auf. Zwar habe die Unterbringung tatsächlich die Intimsphäre der Männer verletzt. Jedoch gebe es für die nur kurzzeitige Beeinträchtigung keinen Schadensersatz. Jetzt muss der BGH entscheiden.

„Eine Stunde kann die Hölle sein“, argumentierte Klägeranwalt Thomas von Plehwe. Bei einer Verletzung der Menschenwürde müsse es deshalb stets Schmerzensgeld geben. Dagegen plädierte Volkert Vorwerk, der das Land Niedersachsen vertrat, für eine Bagatellgrenze: „Es sind schließlich keine Schäden zurückgeblieben.“ Der Bundesgerichtshof wird sein Urteil am 4. November verkünden. Sollte Hinderberger Schmerzensgeld bekommen, könnte es aber deutlich niedriger sein als in der ersten Instanz. „Wer unschuldig in Haft sitzt, bekommt nur 11 Euro pro Tag“, gab ein Richter zu bedenken.

Das Landgericht Karlsruhe hatte einem Häftling Mitte Juli 650 Euro Schmerzensgeld zugesprochen, nachdem dieser drei Wochen lang eine Zelle teilen musste. Auch hier war die Toilette nur durch einen „Schamvorhang“ abgetrennt. „Es gibt tausende derartige Fälle“, sagt der Hannoveraner Anwalt Axel Feller, der einige davon vertritt. „Bis zu drei Jahren“ wurden seine Mandanten in schamwidriger Weise untergebracht. Dass es in solchen Fällen eine „saftige Entschädigung“ geben muss, fand auch Vorwerk.

Etwas widersinnig ist derzeit die Rechtslage. Das Strafvollzugsgesetz verbietet die Mehrfachbelegung von Zellen. Sie lässt sie nur übergangsweise in alten Haftanstalten zu. Gerade dort bestehen aber die Probleme mit der Menschenwürde, die nun zu den Schmerzensgeldprozessen führen. Niedersachsen hat deshalb gemeinsam mit Thüringen einen Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht, wonach auch in neuen Haftanstalten die Zellen mehrfach belegt werden dürfen. Dort sind die Toiletten baulich abgetrennt und haben eine eigene Entlüftung.

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