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„Ich arbeite, weil ich gebraucht werde“

Tamara Hentschel wurde 1987 durch Zufall Wohnheimbetreuerin für vietnamesische Vertragsarbeiter. Dadurch fand sie das Thema ihres Lebens. Nach der Wende hat sie den deutsch-vietnamesischen Verein „Reistrommel“ mit aufgebaut. Heute wird sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet

von MARINA MAI

„Da muss etwas dran sein“, sagte sich Tamara Hentschel 1994, als sie von immer mehr vietnamesischen Zigarettenverkäufern von Polizeiübergriffen hörte. Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern im deutsch-vietnamesischen Verein „Reistrommel“ ermutigte sie vietnamesische Opfer, ihre Erlebnisse zu protokollieren, Beweismittel zu sichern, und wandte sich an die Medien. Drei Jahre später wurden vier Polizisten verurteilt, weil sie wehrlose Vietnamesen auf der Bernauer Wache geschlagen, getreten und ausgeraubt hatten. Solche Urteile sind selten. Es gibt kaum unabhängige Zeugen, wenn Polizisten Menschen schlagen.

Wie so oft in ihrem Leben war Tamara Hentschel ihrem Instinkt, ihrem verletzten Gerechtigkeitsempfinden gefolgt, als sie die Recherchen aufnahm und später nicht lockerließ. Analytische Arbeit, ein strategisches Herangehen, das vieles einfacher machen würde, sind nicht die Sache der 48-Jährigen. Auch zum mühsamen Zusammentragen der Fakten brauchte sie Partner.

Tamara Hentschel ist von Beruf nicht etwa Sozialpädagogin, sondern Bekleidungsfacharbeiterin. Zu ihrem Lebensthema Vietnamesen kam sie durch Zufall: 1987 suchte die allein erziehende Mutter eine Arbeitsstelle in Wohnnähe. Da eröffnete hinter ihrem Wohnblock in Marzahn gerade ein Wohnheim für vietnamesische Vertragsarbeiter. Hentschel bekam einen Job als Wohnheimbetreuerin. Asiatisches Flair zog sie an: Seitdem kocht sie vietnamesisch, mag den Geruch von Räucherstäbchen. Das Tet-Fest gehört genauso zu ihrem Leben wie Weihnachten.

Schon in der DDR engagierte sie sich, wenn ihr Gerechtigkeitsempfinden verletzt wurde: Wurde eine Vertragsarbeiterin schwanger, dann hatte sie die Wahl zwischen Heimkehr nach Vietnam und Abtreibung. Bis Februar 1989 durften Vietnamesinnen in der DDR kein Kind zur Welt bringen. Hentschels Instinkt sagte ihr, dass das nicht in Ordnung sei. „Ich wollte über Empfängnisverhütung informieren, aber das war von meinen Vorgesetzten nicht erwünscht“, erinnert sie sich. Auch gegen die Kontrollen, die sie als Wohnheimbetreuerin gegenüber den Bewohnern leisten musste, lehnte sie sich auf. Doch sie war in ihrem Engagement isoliert. Das änderte sich erst mit der Wende. „Da hatte ich Kontakt zum Arbeitskreis Ausländerfragen des Zentralen Runden Tisches und war plötzlich nicht mehr allein.“

Aber sie wurde auch arbeitslos. Gemeinsam mit Vietnamesen baute sie den deutsch-vietnamesischen Verein „Reistrommel“ auf. Für Tamara Hentschel begann eine Karriere zwischen ABM-Job, anderen geförderten Stellen und vorübergehender Arbeitslosigkeit: „Ich mache die Arbeit, weil ich gebraucht werde. Das ist mir wichtig.“ Sie beriet Vietnamesen in aufenthaltsrechtlichen und sozialen Fragen, organisierte Kinderbetreuungen, baute einen Jugendclub für den Nachwuchs der Vertragsarbeiter auf. Sie vermittelte in Generationskonflikten in vietnamesischen Familien und deckte Betrug unter vietnamesischen Geschäftsleuten auf. Die Erfahrungen und Konflikte der Vietnamesen nimmt sie ernst. Wenn sie deren Anliegen gegenüber Ämtern oder Landsleuten vertritt, in ihrer spontanen, deutlichen, unverblümten, so gar nicht zurückhaltend-asiatischen Art, dann stößt sie oft auf Unverständnis und steht allein da.

In den letzten Jahren ist es still um sie geworden. Rund drei Jahre lang war sie schwer erkrankt. Ihr vietnamesischer Mann und ihre inzwischen erwachsenen Kinder waren ihr eine wichtige Stütze in dieser Zeit. Und „Reistrommel“, wo sie zwischen den Krankenhausaufenthalten das Nötigste erledigte und das Gefühl fand, gebraucht zu werden. Erst seit wenigen Monaten kann man wieder fest mit ihr rechnen.

Heute wird Hentschel für ihr 17-jähriges Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Wenn man weiß, wie scheu und oft unprofessionell Vietnamesen im Umgang mit Behörden sind, dann kann man es kaum glauben, dass sie es waren, die den Weg bis zum Bundespräsidialamt fanden, um „ihre Tamara“ für die Ehrung vorzuschlagen. „Deshalb bedeutet mir die Auszeichnung etwas. Ich sehe darin einen Dank für meine Arbeit“, sagt Tamara Hentschel.

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