: berliner szenen Kopf an Scheibe
Nie mehr U-Bahn!
Die Helikopter kreisen seit Tagen über dem Rathaus Neukölln. Man demonstriert gegen die Türkei und ihre Kurdenpolitik oder die Finanzkrise und ihre Folgen: „Wir zahlen eure Boni nicht!“ Und wir, das heißt, ich und meine beiden Freunde aus Saragossa, Spanien, zu Besuch: Wir steigen hinab in den Untergrund. Lichter, die aufflackern, und der frische, simulierte Brötchenduft aus dem Chemolabor als Verkaufsargument für fade Schrippen.
Am Hermannplatz umsteigen – wir wollen zum Reichstag, Sightseeing. Hoch auf die Kuppel aus Glas. Es ist Sonntagmorgen. Die Waggons stinken nach Alkohol und den Resten von Festen. An den Haltstellen tigern Verwirrte auf und ab. Im Abteil fasst mir ein David-Lynch-Double unvermittelt ins Gesicht: „Hast du Hamsterbacken?“
Plötzlich, Schönleinstraße, die Bahn fährt nicht weiter. Bumm, ein Schlag. Alle im Abteil drehen die Köpfe nach draußen: Gerangel auf den Gleisen. Es geht schneller als ein Blinzeln. Vier, fünf junge Herren boxen einen anderen mit voller Wucht noch mal gegen die Scheibe der U-Bahn. Ein Aufschlag wie ein Warnsignal. Die Hippies, Gott sei Dank, mit ihren Ohrringen und Ringelpullis springen endlich auf. Drei schweigende Männer blockieren Schulter an Schulter den Einstieg. Niemand kommt in den Waggon. Nicht die Schläger, Bushido-Style, noch der Todgeweihte.
Die Bahn fährt weiter. Meine Freunde aus Saragossa wiederholen, wieder beruhigt, Heinrich-Heine-Straße? Der Heinrich Heine? Dann aber setzen sie an: Wäre da nicht der Zug gewesen, dann läge das Opfer jetzt im Gleisbett, vielleicht mit gebrochenem Genick. In Spanien gibt’s so was nicht, sagen sie, auch keine Graffiti. Vielleicht brüllt mal einer, ab und zu. TIMO BERGER
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