: Thilo Sarrazin rechnet am besten
Finanzsenator Sarrazin greift Kollegen in Bund und Ländern frontal an. Die Ablehnung von Entschuldungshilfen für Berlin beruhe auf statistischen Fehlern. Das Land fordert 35 Milliarden Euro
VON PHILIPP GESSLER
Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat einen Generalangriff auf die Gegner der Berliner Klage zur Feststellung einer extremen Haushaltsnotlage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gestartet. Die Gutachten der Gegenseite, namentlich des Bundes und des Landes Baden-Württemberg, „enthalten gravierende statistische Fehler und weisen schwere handwerkliche Mängel auf“, erklärte Sarrazin gestern. Die Einwände gegen den Anspruch der Stadt auf Hilfe bei der Sanierung des maroden Landesetats beruhten ganz überwiegend auf unzutreffenden Annahmen zur Haushaltslage.
Die Landesregierung hatte die Klage auf Sanierungshilfen vor gut einem Jahr eingereicht. Ziel ist es, 35 bis 40 Milliarden Euro zu erstreiten, die ausschließlich dem Abbau des Schuldenbergs dienen sollen. Das Geld soll vom Bund und den anderen Bundesländern kommen. Vor zwölf Jahren hatten die Länder Bremen und das Saarland durch ein Karlsruher Urteil zehn Jahre lang Finanzhilfen durchgesetzt.
Sarrazins Behörde verweist auf einen angeblichen Fehler der gegnerischen Gutachten, wonach Berlin im Jahr 2002 ein Fünftel mehr ausgegeben habe als der Stadtstaat Hamburg. Dies sei aber falsch und beruhe auf einem Datenfehler in der Statistik, durch den für 2002 in Hamburg Ausgaben von 970 Millionen Euro nicht erfasst worden seien.
Der Schuldenberg Berlins beträgt derzeit knapp 57 Milliarden Euro, 2007 sollen es schon rund 67 Milliarden sein. Wenn der Bund 30 bis 40 Milliarden Euro der Schulden übernehme und dafür rund 1,6 Milliarden Euro an Zinsen pro Jahr zahle, würde das den Bundeshaushalt nicht wesentlich belasten, Berlin aber die Sanierung seines Etats ermöglichen, so Sarrazin. Gestützt auf ein Gutachten des Berliner Prozessvertreters Joachim Wieland, wies der Senator zugleich auf hiesiges Sparbemühen: „Das hat es noch nie gegeben, dass ein Land über zehn Jahre seine Ausgaben kontinuierlich senkt.“
Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums wies die Kritik an dem Gutachten der Bundesregierung zurück. Es sei ihm „nicht erkennbar“, wo in ihm Fehler vorliegen sollten. Nicolas Zimmer, CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, hob hervor, dass seine Partei zwar die Klage unterstütze. Ohne größere Anstrengungen für mehr Wirtschaftswachstum, einen weiteren Abbau der Ausgaben und den Verkauf von Landesbeteiligungen aber sei der Klageerfolg gefährdet. Der Finanzexperte der Grünen, Jochen Esser, sagte, er könne noch nicht beurteilen, ob die Kritik Sarrazins an den gegnerischen Gutachten gerechtfertigt sei. In einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) kritisierte Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz jedoch, dass vor den Fraktionsvorsitzenden die Presse informiert worden sei: „Wir empfinden dies als Affront.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen