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Lula sagt Basta

AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER

Kurz bevor Außenminister Joschka Fischer zu Gesprächen mit seinem Kollegen Celso Amorim und Präsident Luiz Inácio Lula da Silva in Brasília eintreffen wird, haben ihm die Gastgeber ein unerwartetes Geschenk gemacht. Das deutsch-brasilianische Atomabkommen aus dem Jahr 1975 wird entsorgt. In einer diplomatischen Note, die der deutschen Botschaft am Freitag übermittelt wurde, bezeichnet das Außenministerium die von Berlin vorgeschlagene Ersetzung des Atomabkommens als „opportun“. Nun soll die Kooperation auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien vorangetrieben werden.

Das Atomabkommen habe nach fast 30 Jahren seine „zentralen Ziele“ erreicht, heißt es in der Note, die der taz vorliegt. Aufgrund der Diversifizierung der Energieerzeugung in den vergangenen beiden Jahrzehnten nehme Brasilien „mit Interesse“ den deutschen Vorschlag auf, das Atomabkommen durch einen Vertrag zu ersetzen, um im Bereich der erneuerbaren Technologien bei Entwicklung und Transfer von Technologien zusammenzuarbeiten. Eine „solide Grundlage“, um darüber bald Verhandlungen aufzunehmen, stelle das im Juni unterzeichnete deutsch-brasilianische Memorandum dar.

Tauziehen in Berlin

Damit setzt Brasilien einem wochenlangen Tauziehen innerhalb der rot-grünen Koalition ein Ende. Auf Betreiben des grünen Entwicklungspolitikers Thilo Hoppe wollten Abgeordnete von SPD und Grünen die Bundesregierung zur einseitigen Kündigung des Abkommens auffordern, das sich am 18. November automatisch um fünf Jahre verlängert hätte. Dagegen hielten das Wirtschaftsministerium und SPD-Außenpolitiker, um die Atomwirtschaft und die brasilianische Regierung nicht vor den Kopf zu stoßen. Vor zehn Tagen entschärften Kanzler Schröder und Fischer den Konflikt mit einer Note, in der das Abkommen als „nicht mehr zeitgemäß“ bezeichnet und seine Ersetzung durch einen Vertrag über erneuerbare Energien „begrüßt“ wurde. Nun war Brasília am Zug.

Dort löste die Note keine Begeisterung aus, zumal die deutsch-brasilianische Kooperation bei den erneuerbaren Energien bislang nur schleppend vorankommt – Energieministerin Dilma Rousseff favorisiert den Bau von umstrittenen Großstaudämmen. Schon gar nicht möchte man sich in die Atompolitik hineinreden lassen, die Lula zur Untermauerung seiner regionalen Machtambitionen als unverzichtbar betrachtet.

Brasilianische Ministeriale versuchten in Berlin noch zu sondieren, ob eine Replik Chancen hätte, die das Atomabkommen positiv würdigt. Sie stießen im Auswärtigen Amt aber auf keine Gegenliebe. Die konservative Tageszeitung O Estado de São Paulo beklagte unterdessen bereits das „traurige Ende“ des Abkommens. Daraufhin entschloss sich Außenminister Celso Amorim zum Befreiungsschlag und gab grünes Licht für die nun übermittelte Antwort. Mit dem Ergebnis sei man „hochzufrieden“, sagte ein enger Mitarbeiter von Umweltministerin Marina Silva der taz. Für die oft marginalisierte Silva war es nach der Ausweisung von zwei Reservaten in Amazonien die zweite gute Nachricht in einer Woche.

Während Brasilien in jüngster Zeit vermehrt auf den Einsatz und den Export von nachwachsenden Brennstoffen wie Äthanol oder Biodiesel setzt, sind deutsche Unternehmen führend bei der Entwicklung von Wind- und Solarkrafttechnologien. In diesem Jahr ist ein Förderprogramm für erneuerbare Energien angelaufen, das die Regierung von Lulas Vorgänger Fernando Henrique Cardoso in Anlehnung an deutsche Erfahrungen auf den Weg gebracht hatte.

Weitere zukunftsträchtige Bereiche auf der deutsch-brasilianischen Agenda sind Energieeinsparung, Energieeffizienz und Emissionsminderung – etwa durch den Handel mit Emissionszertifikaten, wie er im Kioto-Protokoll vorgesehen ist. „Das ist der Weg, den die Welt gehen wird, und in diesem Bereich kann gar nicht genug Druck auf Lula ausgeübt werden“, meint der parteilose Abgeordnete Fernando Gabeira. Für derartige Projekte müssten zusätzliche Mittel aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt werden, sekundiert Thilo Hoppe aus Berlin.

Kein Aus für Angra 3

„Wir hoffen, das ist der Anfang vom Ende des brasilianischen Atom-Abenteuers“, sagte Marcelo Furtado von Greenpeace-Brasilien. Das Siemens-AKW Angra 3, über dessen Bau die Regierung in den kommenden Monaten entscheiden will, sei nicht nur energiepolitisch, sondern auch wegen seiner veralteten Technologie und ungeklärten Sicherheitsfragen ein „unerträgliches Risiko“, findet Furtado.

Aus diesem Grund hatte auch Cardosos Finanzminister zuletzt 2002 sein Veto gegen den Bau von Angra 3 eingelegt. Der Zwillingsmeiler Angra 2, der nach fast 20-jähriger Bauzeit Mitte 2000 ans Netz ging, verschlang über 10 Milliarden Dollar. Für Angra 3, dessen Komponenten seit 1986 an der brasilianischen Küste lagern, wurden vor fünf Jahren 1,8 Milliarden Dollar veranschlagt. Auf den mehrjährigen Bau drängt neben Militärs, der Atomlobby und den großen Baufirmen fast die gesamte politische Klasse des Bundesstaates Rio de Janeiro. Sie verspricht sich von dem Projekt Einnahmen, Arbeitsplätze und damit Wählerstimmen. Angra 3 müsse auch gebaut werden, damit sich die Urananreicherungsanlage im nahe gelegenen Resende rechne, sagte vorgestern General Jorge Armando Félix, Lulas Sicherheitsminister.

Diskreter, aber ebenso beharrlich setzt sich auch Siemens für Angra 3 ein. Der Münchner Konzern ging Ende 2000 ein Jointventure mit dem französischen Energieriesen Framatome ein. Die Firma, an der Siemens mit 34 Prozent beteiligt ist, spekuliert seit Jahren optimistisch auf das Projekt. Zwar dürfte die Absicherung durch eine Hermesbürgschaft oder eine Beteiligung der staatlichen KfW-Bankengruppe nun noch schwieriger zu bekommen sein als bisher, doch französische Banken stehen schon bereit.

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