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Oranienburg, wegtreten!

Die Bundeswehr schließt bundesweit Kasernen – auch die in der brandenburgischen Kleinstadt. Die Einwohner stört das wenig, doch der Bürgermeister ist geschockt: „Der Bund lässt uns allein“

„Keiner schießt so gut Salut wie unsere Jungs in Lehnitz“, klagt das Stadtoberhaupt

VON FELIX LEE

Die Nachricht schlug bei ihm ein wie eine nicht entschärfte Granate. Und davon hat Oranienburg eine Menge. Geradezu königlich wirkt es, wie Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke (SPD) in seinem prächtigen Stuhl in den Räumen des Schlosses Oranienburg sitzt und vorrechnet: 20.000 Bomben seien im Zweiten Weltkrieg über die alte Garnisonstadt niedergeprasselt. Durchschnittliche 10 bis 20 Prozent Blindgänger und eine unbestimmte Dunkelziffer aus den letzten Kriegsmonaten zugrunde gelegt, müssten noch rund 2.000 Bomben im Erdboden unter Oranienburg schlummern, die jederzeit in die Luft gehen könnten. Gerade mal 100 seien seit 1991 beseitigt, sagt Laesicke. „So wie wir mit den Bomben allein gelassen werden, so lässt uns der Bund auch mit der Standortschließung allein.“

Die Rede ist von der Märkischen Kaserne im Stadtteil Lehnitz. 80.000 von rund 400.000 deutschen Soldaten will Bundesverteidigungsminister Peter Struck in den kommenden Jahren bundesweit abbauen. Dass die Bundeswehr sich in den nächsten Jahren verkleinern wird, war Bürgermeister Laesicke seit geraumer Zeit klar. Doch dass seine Stadt auf der Streichliste stehen würde, nicht. Der Hörer sei ihm vor Schreck aus der Hand gefallen, als er an einem Montagmittag Anfang November davon hörte.

Noch am Morgen waren Oranienburger Kanoniere auf dem Flughafen Tegel angetreten und hatten zur Begrüßung der britischen Queen in die Luft gefeuert. „Keiner schießt so gut Salut wie unsere Jungs in Lehnitz“, findet Laesicke. Erst nach der Rückkehr aus Berlin erfuhren die Soldaten von der Schließung.

Wenn die Kaserne dichtgemacht wird, wird Oranienburg 740 Soldaten verlieren, dazu 74 zivile Arbeitsplätze. Für einen Bürgermeister, der eine Stadt mit 43.000 Einwohnern zu betreuen und eine Arbeitslosigkeit von 16 Prozent zu verwalten hat, eine „schiere Katastrophe“.

Zwei Kilometer vom Schloss mit Bürgermeisterbüro entfernt, auf der anderen Havelseite, steht die Kaserne. Vom preußischen Glanz wie bei den alten, aufgeputzten Kasernenmauern im Stadtkern ist am elektrischen Eingangstor in Lehnitz nicht viel zu spüren. Von Endzeitstimmung aber auch nichts. Im Gegenteil: Noch herrscht an diesem späten Novembernachmittag Hochbetrieb. Bagger, Lastenheber und andere Baufahrzeuge passieren in Kolonnen das Eisentor. Den Tag über waren die Arbeiter damit beschäftigt, auf dem weitläufigen Gelände eine neue Zufahrtsstraße für Schwerfahrzeuge zu teeren. Dass hier schon in Kürze alles leer stehen soll, darauf deutet nicht viel hin.

Geradezu „absurd“ sei das, findet ein junger Rekrut, der gerade auf dem Weg zur Kaserne ist, um in der modernen Sporthalle zu „pumpen“, wie er selbst es bezeichnet. Im Fitnessstudio stehen nagelneue Geräte, die Kantine ist ebenfalls neu und der Barbara-Saal auch. Die heilige Barbara ist Schutzpatronin der Artilleristen. Millionen habe der Bund seit der letzten Heeresreform in die Modernisierung der Kaserne gesteckt, sagt der Rekrut. Damals war noch Strucks Vorgänger Scharping Bundesverteidigungsminister. Und der hatte keineswegs vor, Lehnitz zu schließen. Einheiten, die afghanistantauglich sind, die werden ausgebaut, hieß es damals. Seitdem hat das knapp 1.000 Mann zählende Panzerartilleriebataillon immer wieder Einheiten zum Hindukusch geschickt.

Der Soldat kommt aus Oldenburg, ist erst seit sechs Monaten hier, ein paar Wochen war er in Kabul. Dass er demnächst nach Wittstock verlegt wird, ist ihm aber egal. „Sicherlich, von Oranienburg aus ist man schnell in Berlin“, sagt er. Das sei aber auch alles, was ihn an Lehnitz reizt.

Oranienburg hat eine lange Tradition als Garnisonstadt. Gelegen vor den Toren Berlins, waren hier im 19. Jahrhundert preußische Regimenter stationiert. Einige Gründerzeitvillen in der Innenstadt zeugen vom Glamour, den preußische Generäle und Admiräle einst in die Vorstadt von Berlin brachten.

Von diesem Ruhm ist inzwischen kaum mehr etwas zu spüren. Zu DDR-Zeiten kamen die Soldaten mit ihren Familien aus Görlitz, Greifswald und Gera, heute kommen sie aus Düsseldorf, Darmstadt und Detmold. Es sei bereits eine Besonderheit, auf Urbrandenburger zu stoßen, hat Bürgermeister Laesicke erzählt, der selbst aus Eberswalde kommt: „Sobald der Familienvater woanders hinbeordert wird, sind die Familien in der Regel auch wieder weg.“

Wie Berlin hat auch Oranienburg eine Bernauer Straße, es ist die Hauptgeschäftsstraße. Das größte Kaufhaus ist ein 1-Euro-Laden. Gegenüber eine Einkaufspassage, von der man von außen nur die Filiale einer Bank sieht. Dann noch ein Teegeschäft, ein Fotoladen, ein Bäcker – und ein Sporthandel. Die Verkäuferin weiß noch nicht mal, dass auf der anderen Havelseite der Stadt 800 Arbeitsplätze verloren gehen. „Schon wieder?“, fragt sie gelangweilt. „Na ja, in diesen Zeiten zählt jeder einzelne Kunde“, ergänzt Geschäftsinhaber Jörn Hinze. Sein Trost: Im Norden der Stadt baut das Brandenburger Innenministerium gerade die neue Polizeifachhochschule. Die brauchten auch Jogginghosen und Tischtennisschläger.

Dabei war die Fachhochschule der Ausgleich fürs Oranienburger Polizeipräsidium, hatte Bürgermeister Laesicke noch erzählt. Und man merkte ihm an, dass er lieber 700 Elitesoldaten mit Orden an der Brust in seiner Stadt herumlaufen sieht als einige hundert junge Männer und Frauen, denen erst noch gezeigt werden muss, wie die Uniform korrekt angezogen wird.

Der Ärger vieler Passanten richtet sich nicht so sehr gegen die Kasernenschließung an sich, sie regen sich über die Kosten auf. Das Geld dafür hätte man sich sparen können, wenn man von den Streichungsplänen der Bundeswehr gewusst hätte, sagt eine junge Frau. Und ihr Freund fügt hinzu: Die Lehnitzer Kaserne wäre doch ideal für Polizeischüler gewesen. Stattdessen wird für über 30 Millionen Euro ein neues Gelände hochgezogen.

Ruhm und Ehre? Die 73-jährige Passantin ist in Oranienburg geboren, hat die längste Zeit ihres Lebens südlich von Potsdam gelebt. Zurückgekehrt ist sie in erster Linie wegen ihrer kranken Schwester, dann vielleicht noch wegen des Lehnitzsees und auch wegen des Schlossparks. Aber stolz auf die Kaserne? Hinter den alten Gemäuern waren bis zur Wende die Mauersoldaten der NVA. Die habe keiner gemocht. Von 1936 bis 1945 hatte die SS hier ihr Modell- und Schulungslager, ab 1938 war hier das Verwaltungslager aller Konzentrationslager stationiert, und einige Kilometer nördlich lag das Konzentrationslager Sachsenhausen. Darüber wollte lange Zeit niemand reden, erzählt die Frau.

Mehr als 200.000 Menschen waren in Oranienburg inhaftiert, zehntausende kamen ums Leben. Inzwischen gibt es es eine Dauerausstellung, die den Umgang der Einwohner Oranienburgs mit dem KZ thematisiert.

Was nach der Schließung aus der Kaserne wird? Wahrscheinlich wird das Bundesvermögensamt als Verwalter einen Wachdienst beschäftigen, glaubt Bürgermeister Laesicke. „Die werden da herumrennen, jahraus, jahrein, bis die Bäume aus den Dächern wachsen.“ Er glaubt nicht, dass es verkauft wird, zu viele Altliegenschaften gibt es im Berliner Speckgürtel. Ohnehin ist der Bürgermeister nicht gut zu sprechen auf die Umfunktionierung ehemaliger Kasernen. Den alten Flugplatz, den 40 Jahre lang sowjetische Soldaten nutzten, hat die Stadtverwaltung als Gewerbepark deklariert. Trotz Autobahnzubringer in unmittelbarer Nähe: alles Brache.

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