: Gericht befragt Zeugen, die nichts wissen
Castor-Gegner werden vom Kölner Amtsgericht wegen angeblicher Gleisblockaden zu Bußgeldern verdonnert. Anwalt der Beschuldigten spricht von „Kaffesatzleserei“ und fragt: „Hat überhaupt eine Demonstration stattgefunden?“
KÖLN taz ■ „Hier werden Zeugen geladen, die nichts wissen“, kritisiert der Anwalt von Ursula B. gleich zum Auftakt. Die Kosten der Verhandlung würden so in die Höhe getrieben. „Wenn sie den Einspruch zurückgenommen hätten, dann hätte ich niemanden geladen“, entgegnet Richter Alfred Klimmer unbeeindruckt. Am Kölner Amtsgericht ist er für Demonstrationsdelikte zuständig.
In Zimmer 33 verhandelt Klimmer heute den Einspruch gegen Bußgeldbescheide, die gegen drei Atomkraftgegner aus dem Raum Münster ergangen sind. Ursula B., Ralf S. und Peter N. sollen im Mai 2003 in Datteln einen Castortransport auf dem Weg in die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague blockiert haben. Die Autobahnpolizei hatte sie auf dem Rastplatz Speckhorn gestoppt, nachdem ein Polizeihubschrauber den Wagen der Castor- Gegner in der Nähe des Bahnübergangs Datteln-Becklem gesichtet hatte. „Wir haben Transparente gegen Atomkraft im Wagen gefunden“, berichtet einer der Polizisten. Grund genug für den Bundesgrenzschutz (BGS), Bußgeldbescheide wegen „gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr“ zu verschicken.
Sechs Zeugen hat Richter Klimmer geladen. Bereits im Januar sagten die selben Zeugen in einem anderen Verfahren aus, dass sie niemanden auf den Gleisen in Datteln gesehen hatten. Auch an diesem Montag sagen die sechs Polizei-Beamten nichts Neues. Keiner der Zeugen hat überhaupt Demonstranten gesehen. Alle haben nur über Funk von einer Demo gehört. Woher die Information gekommen ist, kann nicht geklärt werden. Auch wie viele Fahrzeuge in der Nähe waren bleibt unklar. Selbst zu den Sichtverhältnissen an jenem Mai-Morgen gibt es unterschiedliche Aussagen. Sicher ist nur, dass der Castor-Transporter vor dem Bahnübergang in Datteln halten musste, weil ein Signal auf Rot stand.
Ein „Kommando Emscher-Lippe“ hat sich indes im Internet und in einem Schreiben an das Gericht zu einer Blockade-Aktion in Datteln bekannt und Fotos ins Netz gestellt. Die abgebildeten Transparente sind nicht die, die im Wagen der drei Beschuldigten gefunden wurden. Diese beteuern denn auch vor Gericht, dass sie an der Castor-Blockade nicht beteiligt waren. Sie seien, weil sie keine Demonstranten gefunden hätten, unverrichteter Dinge wieder nach Hause gefahren.
Angesichts der Zeugenaussagen spricht Ursula B.‘s Anwalt von „Kaffesatzleserei“ und fragt: „Hat überhaupt eine Demonstration stattgefunden?“ Richter Klimmer hingegen glaubt den Beschuldigten nicht. Nach dreieinhalb Stunden Verhandlung sieht er trotz der Zeugenaussagen „keine vernünftigen Zweifel“ und verdonnert die drei derzeit arbeitslosen Beschuldigten zu Bußgeldern wegen „vorsätzlicher Ordnungswidrigkeit“ zwischen 100 und 200 Euro. Gegen das Urteil wollen die drei Castor-Gegner nun die Zulassung einer Rechtsbeschwerde beantragen.
THOMAS SPOLERT
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