gottschalk sagt: Parallele Leitkulturen
CHRISTIAN GOTTSCHALK: Die Kolumne am Donnerstag
Wenn einem ein Begriff so richtig auf den Senkel geht, muss man ihn kaputt benutzen. So lange, bis er seines Inhalts, seiner Aura und was Worte sonst noch so haben, beraubt ist. Die Worte, die dieser Tage die Medien beherrschen, heißen Parallelgesellschaft und Leitkultur und müssen sofort kaputt benutzt werden, bis sie nicht mehr wissen, wo vorne und hinten ist. „Ich hab‘ keine Lust zu kochen, holen wir uns was aus der Parallelgesellschaft.“ – „Wie war‘s im Urlaub?“ – „Nervig, der ganze Ort voller Leitkultur in Asiletten.“ Vielleicht klappt es ja.
Danke Islamisten: Endlich haben die Deutschen wieder etwas, vor dem sie Angst haben können, nachdem das mit der Terrorangst mangels Bomben-, Anthrax-, Verkehrsflugzeuganschlägen in unseren Breiten nur so halb geklappt hat.
Aber gruselige Vollbartträger, die Frauen unterdrücken und mitten unter uns leben, die sind super zum Fürchten. Ihnen gegenüber kann man linke und reaktionäre Reflexe genial vereinen: Sollen die sich doch anpassen oder ihre Frauen wieder da unterdrücken, wo sie herkommen!
Am Wochenende demonstrierten in Köln 20.000 Moslems, und endlich waren mal genug Ausländer da, so dass für jeden Deutschen einer zum Einhaken zur Verfügung stand. Nur Claudia Roth hatte aus Versehen Schramma erwischt, aber den kann man ja auch leicht verwechseln.
Die Botschaften waren einfach gefasst, denn sie waren an uns Deutsche gerichtet: Verwechselt Islam nicht immer mit Terrorismus. Damit wir nicht bei jedem Kopftuch zusammenzucken und komisch gucken. Vielleicht klappt es ja. Hat es früher ja auch so mit Ach und Krach.
Die, die nach dem momentanen Stand der Diskussion alles richtig gemacht haben, bekommen dafür in der Regel das Schlechteste von beiden Seiten. Die Leitkultur fragt sie, woher sie so gut deutsch können und wo sie denn so herkommen und wieder hingehen nach dem Studium, und die Parallelgesellschaft meint, sie sollten als gute Türkinnen ein Kopftuch tragen.
Ich glaube, selbst im Knast würde ein Türke über dreißig auf die Frage: „Wie lange bist du schon hier?“ antworten: „Ich bin hier geboren, Alter!“
Weil die Frage immer genau so gemeint war.
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