: Die nicht so jüdischen Mendelssohns
Gegen das Zoogefühl, Jüdischkeit in Deutschland zu leben: Die jüdischen Kulturtage thematisieren die Assimilation von „Mendelssohn & Co“
„Ach, wenn ich das Glück hätte, ein Enkel Moses Mendelssohns zu sein!“ seufzte 1846 Heinrich Heine in Paris. „Seine Kinder sind Millionäre und seine Enkel bedeutende Maler und Virtuosen!“, schwärmte Ludwig Börne. Unter dem Motto „Mendelssohn & Co.“ widmen sich noch bis zum 29. November die 18. Jüdischen Kulturtage einer Wiederentdeckung der bedeutenden Berliner Großfamilie. Ihr Stammvater, der Aufklärer Moses Mendelssohn (1729–1786) wäre in diesem Jahr 275 Jahre alt geworden.
Doch es gibt einen Schönheitsfehler in dieser deutsch-jüdischen Aufstiegsgeschichte: Wie Heine und Börne traten auch alle Nachkommen Moses Mendelssohns zum Christentum über. „Was hat diese christianisierte Familie mit der jüdischen Gemeinde zu tun?“, fragt daher Thomas Lackmann, der das Konzept der Kulturtage erarbeitet hat, auf der Eröffnungsfeier in der Synagoge Rykestraße. Seine Antwort: „Die Mendelssohns repräsentieren die deutsch-jüdische Symbiose.“ Spätestens seit dem Holocaust ist dieser Begriff zu einem Reizwort geworden.
Moses Mendelssohn, Vorkämpfer der jüdischen Emanzipation in Deutschland und noch bis zum Zweiten Weltkrieg als „jüdischer Luther“ gefeiert, ist innerhalb der jüdischen Gemeinde heute eine umstrittene Figur. So erregt das Thema der Kulturtage schon im Vorfeld Kontroversen: Reduziert sich das Jüdische an den Mendelssohns nicht auf den bescheidenen Zusatz „& Co“?
Benjamin von Mendelssohn, geboren 1971, spricht als leibhaftiger Nachfahre in der Synagoge ein Grußwort. Der Urenkel engagiert sich in der Friedensarbeit mit Palästinensern, hat aber mit jüdischem Leben nicht viel am Hut. Der Urahn ist ihm trotzdem ein Vorbild: „Sein Einsatz für eine menschliche Gesellschaft liegt jenseits von Religionsdünkel. Mit einem humanen Ansinnen kann man in dieser Welt nicht glücklich werden.“
Sein protestantisch getaufter Vater, Robert von Mendelssohn (1904–1997), war der letzte Bankier der Privatbank Mendelssohn & Co. Für ihre Verdienste ums Vaterland – die Bank finanzierte politisch erwünschte Eisenbahnprojekte im Ausland – waren mehrere Teilhaber Ende des 19. Jahrhunderts in den Adelsstand erhoben worden. Genützt hat das später nicht viel. Obwohl die meisten Mendelssohns nach den Nürnberger Rassengesetzen nicht mehr als jüdisch galten, sollte der Name des Bankhauses auf Druck der NSDAP verschwinden. Mendelssohn & Co ging 1938 in Liquidation, die Deutsche Bank übernahm das Kundengeschäft.
Benjamin von Mendelssohn meint, sein Vater habe sich aufgrund dieser Erfahrungen in seiner Identität „gemischt“ gefühlt. Gemischt blieb auch das Verhältnis zur Berliner Jüdischen Gemeinde: Zu deren offiziellen Festakten wurden die Mendelssohns nur sporadisch eingeladen – „je nachdem, wer dort gerade im Vorstand saß“.
Von Anfang an war die Position zwischen den Stühlen ein fester Bestandteil der Mendelssohn’schen Assimilationsgeschichte. Der spätere Komponist Felix Mendelssohn wurde auf Betreiben der Eltern schon 1816 getauft. Doch den vorgesehenen christlichen Familiennamen „Bartholdy“ (so hieß die im Familienbesitz befindliche Meierei in der Köpenicker Straße) wählte Felix nur als Namenszusatz. Selbst nachdem er sich mit der Wiederaufführung von Bachs Matthäus-Passion um die christliche Sakralmusik verdient gemacht hatte, fiel er 1833 bei der Wahl zum Direktor der Berliner Singakademie durch – aus wenig judenfreundlichen Gründen.
Der „Spagat zwischen Identität und Integration“ ist auch das Thema einer Podiumsdiskussion in der Jüdischen Oberschule, deren Tradition auf die im 18. Jahrhundert von Moses Mendelssohn mit begründete „Jüdische Freyschule“ zurückweist. Der Schüler Peres N. freut sich, „dass uns diese Schule vermittelt, wer wir sind“, und es möglich sei, hier seine „Jüdischkeit zu leben“. Denn das jüdische Leben in Deutschland sei im Grunde genommen ein „Zoogefühl“. Peres N. ist besorgt, weil das Traditionsbewusstsein unter seinen Altersgenossen immer mehr abnimmt.
In diesem Sinne setzt sich auch die Künstlergruppe Meshulash kritisch mit dem Erbe Moses Mendelssohns auseinander. Die Ausstellung „Mendels Söhne und Töchter“ ist bis zum 28. November im Jüdischen Gemeindehaus zu sehen. Für die Berliner Künstlerin Norma Drimmer ist Moses eine „tragische Gestalt“. Ihre Installation „Lösungen“ zeigt einen C-Print mit der 1938 von SA-Leuten demolierten Mendelssohn-Statue aus der Großen Hamburger Straße, einmontiert in die vor dem Gemeindehaus aufgestellte Gedenkwand mit den Namen der Vernichtungslager. So kurz kann Geschichte sein.
Sigurd Wendland interpretiert in seinem Gemälde „Hans im Glück“ die Mendelssohn-Rezeption als lustbetonten Tanz ums Goldene Kalb. Im Nachklapp gibt es einen kleinen Kunstskandal: Wendlands Bild zeigt eine nackte Frau mit Tefillin, den Männern vorbehaltenen Gebetsriemen. Dass damit religiöse Gefühle verletzt werden, fiel auf der Vernissage niemandem groß auf. Nach einer Intervention von Rabbi Ehrenberg ist die tanzende Nudistin jetzt mit einem gelben Seidentuch verhüllt.
Bei insgesamt 36 Konzerten, Kunstausstellungen, Theateraufführungen und Lesungen leben die kulturellen Leistungen der Mendelssohns wieder auf. Doch eine aktuelle Frage bleibt auch in dieser 250-jährigen Familiengeschichte unbeantwortet: Wie hätte man sich bloß eine schmerz- und komplikationslose Integration kultureller Minderheiten in Deutschland vorzustellen?
JAN-HENDRIK WULF
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