piwik no script img

Ausfuhr statt Ausstieg

Schröder will für den Export von AKW-Technik nach Finnland bürgen – und lässt die Grünen aufheulen

„Da hängen unmittelbar Arbeitsplätze dran.“ Regierungssprecher Thomas Steg

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Es gibt Tage, an denen die Grünen gerne wieder in der Opposition wären. An denen sie mit all dem, was die Regierung in Berlin so macht, am liebsten nichts zu tun hätten. Gar nichts. So wie früher. An denen sie einfach nur noch schimpfen wollen über das, was die Regierung gerade tut, weil es allem widerspricht, was die Grünen sich einst vorgenommen hatten. Weil es alles konterkariert, wofür sie stehen. Oder vielmehr: stehen möchten. Gestern war so ein Tag. Ein Tag, den der grüne Landeschef in NRW, Frithjof Schmidt, „fast unerträglich“ findet.

Das Unwohlsein ist nachvollziehbar. Und zum ersten Mal seit langer Zeit spürt es auch die Führung in Berlin. Die Stimmung sei miserabel, heißt es von denen, die sich um diplomatische Formulierungen bemühen. Alle ahnen, was die Pläne der Regierung bedeuten, Atomexport ins Ausland bereitwillig zu unterstützen. Erst nach China, jetzt auch noch nach Finnland, Letzteres womöglich gar mit einer Staatsbürgschaft. Bis Weihnachten werde man entscheiden, ob man eine Exportbürgschaft erteile, wenn Siemens wie geplant Generatoren, Kondensatoren, Dampfturbinen und Leittechnik für den Bau eines nagelneuen Atomkraftwerks in Finnland liefert, teilte ein Regierungssprecher gestern mit. Verbunden war dies mit dem Hinweis: „Da hängen unmittelbar Arbeitsplätze dran.“ Was der Kanzler über die Sache denkt, lässt sich unschwer erraten. Und am kommenden Dienstag kommt der finnische Ministerpräsident nach Berlin.

„Problematisch“ sei das mit der Bürgschaft, sagt Krista Sager, die grüne Fraktionsvorsitzende, die bisher noch nie Schwierigkeiten hatte, die Notwendigkeit von Regierungsentscheidungen zu erklären. Jetzt bleibt ihr nur noch die Hoffnung: „Das ist noch nicht entschieden.“ Man werde in der Koalition noch darüber reden.

Auch Sager weiß: Jetzt geht es nicht mehr um Sozialreformen, die zwar schmerzlich sind, die die grüne Wählerklientel aber eher am Rande berühren. Für die Grünen geht es jetzt ans Eingemachte – an ihre Identität als Anti-AKW-Partei. „Es wäre ein Treppenwitz“, sagt die energiepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Michaele Hustedt, „wenn wir in Deutschland den Atomausstieg vollziehen, gleichzeitig aber den Ausbau der Atomenergie in anderen Ländern finanziell fördern.“ Wenn es um Finnland geht, wird es besonders peinlich. Die grünen Freunde dort, daran erinnert auch Sager, waren just wegen der Atompolitik der finnischen Regierung aus ihrer Koalition ausgestiegen.

Und die deutschen Grünen? Am letzten Wochenende noch hatten sie Rebecca Harms als ihre Spitzenkandidatin für die Europawahl auf den Schild gehoben. Hatten von einem atomfreien Europa fabuliert, das Harms, die bewährte Anti-AKW-Vorkämpferin, mit herbeiführen solle. Ach, wie schön war diese Botschaft. Die Grünen fühlten sich wohl und träumten. Bis der Kanzler nach China fuhr. Bis der Regierungssprecher über das Projekt in Finnland sagte, wenn Deutschland es nicht mache, würden es eben andere machen. Also sei das nicht so schlimm. Schneller sind wohlklingende Parteitagsreden wohl noch nie von der Wirklichkeit eingeholt worden als in dieser Woche.

Kaum hatten die Grünen von ihrem Außenminister Joschka Fischer aus Brüssel erklärt bekommen, dass man „manchmal bittere Entscheidungen treffen“ müsse und also den Verkauf der Hanauer Plutoniumfabrik nach China wohl kaum verhindern könne, so weh es ihm persönlich tue, da ereilte sie die nächste schlechte Nachricht. Am Wochenende, so hoffen die Grünen, werde Fischer nochmal mit Schröder reden. Und noch ein anderer ist unter Druck. „Jürgen Trittin steht für den Atomausstieg“, sagt die Expertin Hustedt. „Er muss auch Sorge dafür tragen, dass wir hier glaubwürdig bleiben.“ Die grüne Hoffnung stirbt zuletzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen