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Der große Bruder

Mit seiner Sendung „Willi wills wissen“ revolutioniert Willi Weitzel das Kinderfernsehen. Nächste Folge: am Samstag um 10.00 Uhr in der ARD

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Es muss schon einiges passieren, damit es einer aus dem Kinderfernsehen auf die Titelseiten der Boulevardblätter schafft. Ein Bayerischer Fernsehpreis genügt da kaum. Auch nicht, Grundschulkindern mal eben den Tod erklärt zu haben. In 24 Minuten. Ohne falsches Pathos, falsche Scham und mit den echten Tränen eines 83-Jährigen.

Der heißt Theo Welde, liegt in einem weichen Bett in einem hellen Zimmer mit einer Sonnenblume auf der Fensterscheibe und erzählt, wie das ist, dort zu liegen und auf den Tod zu warten. Willi sitzt daneben. Streichelt Theos Arm. Hört Theo zu. Und will für einen kurzen, intimen Moment einmal gar nichts wissen. Obwohl seine Sendung doch eigentlich „Willi wills wissen“ heißt. Obwohl besagte Folge „Wie ist das mit dem Tod?“ fragt. Das mit dem Sterben sei gar nicht so schlimm, meint Willi dann später. Und man möchte es ihm, dem Kinderfunkreporter, beinahe glauben.

Er hört tatsächlich auf den alliterierten Namen Willi Weitzel. So steht es in seinem Pass. Als der wurde er 1972 im hessischen Stadtallendorf geboren. Spielte lieber mit Lego als mit Playmobil. Guckte lieber „Uhlenbusch“ als die „Rappelkiste“. „Wenn man selbst in einer Kleinstadt aufgewachsen ist, konnte man sich mit den Kindern aus Uhlenbusch ziemlich gut identifizieren.“

Vielleicht auch deshalb zieht es Willi, wenn er mal wieder etwas wissen will, so ins Münchner Umland. Willi wills wissen mag die pittoresken Ecken des Alltags, ohne sie mit der heilen Welt zu verwechseln. Hier finden die Kinderprogrammmacher von der Produktionsfirma Megaherz immer wieder ihre Geschichten und ihre Gesichter. Bei den Benediktinermönchen im Kloster Sankt Ottilien zum Beispiel. Auf einem Bauernhof, einem Donaufrachter, einer Skisprungschanze.

All das sind zunächst einmal klassische Was-ist-was?-Storys, wie sie auch „Die Sendung mit der Maus“ erzählt. Edukatorisches Kinderfernsehen – nur dass vor der Kamera kein Achtundsechziger in Latzhosen steht, sondern ein großer Bruder in Sneakers und einer H&M-Strickjacke.

Gegen die aufrichtige Realness von Willi ist selbst Peter Lustig eine Kunstfigur, ein Ziggy Stardust des Kinderfernsehens. Willi hingegen ist eher ein Singer/Songwriter, das Hohelied der Authentizität auf den Lippen. Er wäre Paul McCartney, wenn er denn ein Beatle wäre. Schon alleine wegen seines Lächelns. Ein warmes, einnehmendes Lächeln. Keines dieser retardierten Dauergrinsen, wie man sie nicht nur bei Super RTL für besonders kindgerecht hält.

Denn das ist wohl ein weiteres Geheimnis für den Erfolg der momentan in der ARD und im Kika sowie in den dritten Programmen von BR und WDR ausgestrahlten Sendereihe: Kinder spüren eben sehr genau, wer es ernst mit ihnen meint. Von wem sie ernst genommen werden. Und wer eben auch mal ganz ehrlich albern sein kann. Oder ganz ehrlich bewegt – für eine der kommenden Folgen wird Willi mit seinem Team ins ehemalige Jugoslawien reisen, um dort nach dem Krieg zu fragen.

Bliebe nurmehr die Sache mit den Boulevardblättern zu klären. Denen lieferte Willi vor 12 Tagen eine ganz unfreiwillige Blut-Schweiß-und-Tränen-Story. Während seinen empathischen Recherchearbeiten zum Thema Obdachlosigkeit wurde er, im Schlafsack in Münchens Altem Botanischen Garten liegend, überfallen und übel am Kopf verletzt. Einen Günter Wallraff für den Kinderfunk wollte ihn manch einer da schon nennen. Aber das geht Willi Weitzel dann doch ein bisschen zu weit. Der ist erst mal froh, dass der Doktor die Fäden gezogen hat.

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