: Kein Thema?!
Wunderbar. Auch die Forschung hat die „weibliche“ Leistungsfähigkeit erkannt und gewürdigt. Es stehen uns jetzt nicht nur die Pforten zu den Chefsesseln der Konzerne sowie Machtpositionen in der Politik offen, wir haben nicht nur die Kontrolle über die Reproduktion, nein, wir können auch die tragenden Diskurse in der Wissenschaft gestalten.
So, where’s the problem? Alles bestens?
Ein paar hochschulpolitische Daten: Ungefähr ebenso viele Männer wie Frauen fangen ein Studium an (45 Prozent Frauen/51 Prozent Männer). Der Anteil verändert sich geringfügig bei den Abschlüssen (49 Prozent Frauen/55 Prozent Männer). Sobald es aber um Stellen an der Uni geht, kriegt die Kurve einen eklatanten, rätselhaften Knick. Angefangen bei studentischen Hilfskräften (34 Prozent Frauen/66 Prozent Männer), über wissenschaftliches und künstlerisches Personal an Hochschulen (30 Prozent Frauen/70 Prozent Männer) und an Forschungseinrichtungen (17 Prozent Frauen/83 Prozent Männer), bis zu bestbezahlten C-4-Professuren insgesamt (7 Prozent Frauen/93 Prozent Männer). (Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden Februar 2002).
Die Schlussfolgerungen sind nicht neu: Je höher der Prestigestatus, je mehr Kohle es gibt, desto minimaler der Frauenanteil.
Trotz Quotierungen halten die Herren zusammen. Denn trotz Bevorzugung bei gleicher Eignung, wie es bei Ausschreibungen so schön heißt, bleibt das Problem bestehen: Die Wissenschaft spiegelt in ihrer Organisationsform die bestehende gesellschaftliche Struktur wider: Wissenschaftlerinnen, die aus „strukturellen Gründen“ tendenziell weniger kompetitiv sind als Wissenschaftler, werden weniger gefördert, können sich also weniger profilieren.
Im Klartext heißt das, dass vor dem weiblichen Potenzial die Türen zur Forschung nicht verschlossen werden, wenn es in vorgestanzte Lebensläufe passt und verwertbar ist. Übrigens bringt auch der fortschrittlichste Frauenförderungsplan nichts, wenn keine Stellen zu besetzen sind.
Verlassen wir diese mikroskopische hochschulinterne Betrachtung und wenden uns der makroskopischen gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu.
Ob in Wirtschaft, Politik, Kunst, der Frauenanteil in diskursprägenden Stellungen ist verschwindend gering. Auch das ist nicht neu und schon immer so gewesen.
Dass die derzeitige Standortrhetorik und der Spardiskurs der Politik zu frauenfeindlichen Tendenzen führt, ist ebenso einleuchtend. Die postulierte Zweigeschlechtigkeit und die Zuweisung des jeweiligen Geschlechts zu Sphären (typische „männliche“ und „weibliche“ Bereiche) mit vorgeschriebenen Lebenskonzepten und Handlungsanweisungen sowie die harte Konkurrenz auf dem kapitalistisch organisierten Arbeitsmarkt potenzieren sich gegenseitig.
Die Abdrängung von Menschen des einen Geschlechts zurück in gesellschaftlich nicht anerkannte Bereiche, in denen sie unentgeltlich ihr „Potenzial“ zur Verfügung stellen, „zurück an den Herd“, ermöglicht die Reproduktion der Menschen des anderen Geschlechts, damit diese ihr „Potenzial“ auf dem Markt feilbieten können.
Oder aber die Menschen des einen Geschlechts arbeiten in sicheren, immer weniger werdenden Ernährerjobs, während die des anderen Geschlechts im Zuge von Agenda 2010 und Hartz in steigender Anzahl in prekären, schlecht bezahlten Minijobs tätig werden. Unhinterfragt werden vorgesetzte, durch Signalworte („Arbeitslosigkeit“) immer wieder aufs Neue stimulierte Wahrheiten durchgekaut und aufs Neue als „natürlich“ angenommen.
Was „männlich“ oder „weiblich“ ist, ist ebenso gesellschaftlich, das heißt künstlich, definiert, wie die bestehenden Beziehungskonzepte, die Aufteilung der Arbeit in Hausarbeit und Lohnarbeit oder die Annahme, dass die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung die einzig mögliche und wahre ist.
Wie pleite war noch mal der sozialistische Staat, als er zerbrach? Undenkbare Gedanken.
Woher stammen diese Wahrheiten?
Warum haben sie eine solche Wirkungsmächtigkeit?
Wer hat welches Interesse an ihrem Bestehen?
Welche Alternativen gibt es?
Eine Wissenschaft kann diese Fragen ignorieren und den herkömmlichen Brei unhinterfragt immer wiederkäuen.
Eine Wissenschaft kann diese Fragen stellen, kann die bestehenden Diskurse, so genannte „Wahrheiten“, aufzeigen.
Welche Wissenschaft mensch betreibt, ist eine politische Entscheidung.
Ebenso was mensch in einem Streik zum Thema macht und was nicht.
Es werden fast gar keine alternativen Seminare zum Thema „soziales Geschlecht“ (gender) unter anderem während des Streiks angeboten. Ein dominantes männliches Rednerverhalten wird auf den VVs hingenommen, zum Beispiel wird jeder zwanzigste RednerInnenbeitrag von einer Frau gehalten und teilweise von männlicher Seite her bepfiffen.
Keine autonomen Frauen-Lesben-Plena finden wie in den Streiks zuvor statt, um bestimmte „strukturelle Gründe“ für die Benachteiligung aufgrund von Geschlecht an Unis und in der Gesellschaft aufzuzeigen und neue Diskurse zu produzieren.
Mensch kann also konstatieren, dass sich die Logik, mit der gestreikt wird, prima in die gesamtgesellschaftliche Entwicklung einordnet. Steikt mensch mit dieser Blindheit, ohne das geringste Interesse an einer kritischen, wirklich gesamtgesellschaftlichen Analyse der Verhältnisse, dann ist der Vorwurf der Privilegiensicherung berechtigt.
P.S. Feuer und Flamme dem Patriarchat!
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