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Durch Asien im Marco-Polo-Fieber

Mit vier Kameras, 1.000 Rollen Film und Marco Polos Reisebericht „Il Milione“ machte sich der Fotograf Michael Yamashita vier Jahre lang auf die Spuren des venezianischen Handelsreisenden. Herausgekommen ist ein wunderschöner Bildband

Er beschreibt Orte, die dem mittelalterlichen Europa gänzlich unbekannt waren

von EDITH KRESTA

Im Jahre 1271 brach Marco Polo von Venedig zu einer Reise nach Asien auf in Begleitung seines Vaters Niccolò und seines Onkels Matteo, beide venezianische Handlungsreisende mit besonderem Blick für Edelsteine. Seine Reise sollte 24 Jahre dauern. Und seine Erzählungen von den Millionen Wundern, die ihm auf dieser Route begegneten, brachte nicht nur die damaligen Zuhörer in seiner Heimatstadt Venedig zum Staunen. In seinem 1298/99 verfassten Werk „Die Wunder der Welt“ berichtet Marco Polo ausgiebig über die Reichtümer Asiens: Seide, Gewürze, Edelsteine, Porzellan. Er beschreibt Orte und Gebräuche, die dem mittelalterlichen Europa gänzlich unbekannt waren. Seine Erlebnisse wurden ein Ansporn für Europäer, die entlegenen Winkel der Erde zu erforschen, auch für den Seefahrer Kolumbus. Seine Beschreibungen waren Quellen eines bis dahin unbekannten Wissens jenseits des engen europäischen Horizonts. Und sie inspirieren Abenteurer und Entdecker bis heute, auch wenn seine Erzählungen immer wieder angezweifelt werden. Schließlich beschrieb er Dinge, die selbst die damals welterfahrenen Venezianer noch nie gesehen hatten, etwa einen schwarzen Stein, der brennt. Und er beschrieb andere Dinge nicht, wie die Chinesische Mauer oder die eingebundenen Füße der chinesischen Frauen – was heutige Wissenschaftler stutzig macht.

Der Fotograf Michael Yamashita glaubt an ihn, mehr noch, er identifiziert sich mit ihm. 1997, 700 Jahre später, folgt er den Wegen des Venezianers. Mit vier Kameras, einem Dutzend Linsen, 1.000 Rollen Film und einem Exemplar von Marco Polos Buch „Il Milione“ (1299) machte er sich vier Jahre lang auf Spurensuche. Für eine dreiteilige Serie im Magazin National Geographic überquerte er Gebirgspässe, durchquerte die Wüste Takla Makan sowie den Irak, den Iran und Afghanistan bis nach China. Teilweise begleitet ihn der Autor Mike Edwards. „Nachdem wir Polos Spuren über zwei Jahre lang gefolgt waren“, schreibt der Fotograf, „fanden wir, dass wir ihn nicht in China zurücklassen konnten, sondern ihn auch nach Hause begleiten mussten. Also folgten wir ihm weiter, über Sumatra und Sri Lanka bis zur Küste Indiens.“ Die besten Fotografien dieser langen Reise zeigen der Verlag Frederking & Thaler und Geo in dem Bildband: „Marco Polo. Eine wundersame Reise“. Die Bildreportage wird ergänzt durch einführende Texte des Historikers Gianni Guadalupi und durch historische Bilder und Zitate aus Marco Polos Reisebericht „Il Milione“. Michael Yamashitas Buch zeigt nicht nur wunderschöne Fotos einer langen Reise nach Asien, sondern spürt auch die Vergangenheit in der Gegenwart auf.

Mag das Reisen im Jeep auch heute unbeschwerlicher sein als damals zu Pferd, Michael Yamashita stieß auf neue Grenzen. War das östliche Reich zu Marco Polos Zeiten unter der mongolischen Herrschaft Kublai Khans – in dessen Diensten Marco Polo stand – geeint, so musste der Fotograf heute zahlreiche politische und nationale Grenzen überwinden. Er brauchte sowohl ein Visum der Nordallianz in Afghanistan als auch der Taliban. Er wollte von Pakistan nach China, vom Irak in den Iran. Es gelang ihm nur auf Umwegen.

Michael Yamashita stieß bei seiner mühsamen Spurensuche immer wieder auf Motive, die schon der venezianische Kaufmann beschrieb: die Schilfhäuser von Basra und die Jademinen in Khotan, die Fischzüchter von Hangzhou, die Rohfleischesser von Yunnan, die goldüberzogenen Zähne beim Volk der Yao. Über die Mongolen schreibt Marco Polo: „Ihre Behausungen sind aus Holz; die Dächer sind aus Filz. Ihre Form ist rund. Überall, wohin die Tataren ziehen, nehmen sie diese Hütten mit sich. Sie haben nämlich die Holzruten so geschickt miteinander verbunden, dass das Ganze leicht transportiert werden kann.“ („Die Wunder der Welt“)

Doch das Wunder der Spaghetti kann auch der Fotograf nicht aufklären. Brachte Marco Polo die Spaghetti aus China nach Venedig mit oder ungekehrt? „Ich fand keine Antwort auf die Frage“, schreibt Yamashita, „aber die Nachforschungen machten mir viel Spaß. Die regionale Variante lamien ist jedenfalls eine meiner Lieblingsgerichte, und ich fotografierte jedes meiner Nudelgerichte.“

Michael Yamashita: „Marco Polo. Eine wundersame Reise“. Frederking und Thaler 2003, 504 Seiten, 29,90 Euro

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