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Region statt Hinterland

Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf will mit einer „Oderregion“ einen neuen Anlauf bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit starten. Das stößt in Polen nicht überall auf Gegenliebe

VON UWE RADA

Über den „Stolpe-Plan“ redet man in Polen noch heute. „Dieser Plan“, erinnert sich der Breslauer Soziologe Marek Dębicki, „hätte Polen zum Hinterland von Brandenburg gemacht“. Dabei hatte der Brandenburgische Ministerpräsident das Wort „Stolpe-Plan“ gar nicht in den Mund genommen. Was Manfred Stolpe da 1991 vorgeschlagen hatte, war nichts als ein erster Versuch, eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit diesseits und jenseits der Oder in Gang zu bringen.

Doch dafür war die Zeit nicht reif. Als im Juli 1991 der visumfreie Reiseverkehr eingeführt wurde, empfingen deutsche Neonazis polnische Reisebusse mit Steinwürfen. Schon Wochen zuvor war in der Regionalpresse von einer wahren „Polenflut“ die Rede gewesen, die sich über Brandenburg „ergießen“ würde. Umgekehrt geriet der brandenburgische Vorschlag bald zum „Plan“ – Assoziationen zu Himmlers Generalplan Ost durchaus erwünscht. Selbst das Wort „Hinterland“, das Dębicki in seinem Rückblick auf die Geschichte der deutsch-polnischen Zusammenarbeit verwendet, ist nicht frei von Emotionen. „Hinterland“ ist in Polen ein Begriff, den jeder versteht, seitdem die Preußen mitgemacht haben an der polnischen Teilerei von 1772 bis 1918.

13 Jahre später ist wieder von einer Zusammenarbeit westlich und östlich der Oder die Rede. Diesmal geht es nicht nur um Brandenburg und das Lebuser Land, sondern um die gesamte Oderregion zwischen Stettin und Breslau, Berlin und Posen. Anders als 1991 ist das Vorhaben diesmal mit der polnischen Seite abgestimmt. Von einem deutschen „Plan“ kann also keine Rede sein. Von einem ehrgeizigen Vorhaben dagegen schon.

Erste Ergebnisse des grenzüberschreitenden Netzwerks „Oderregion“ hat Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) Ende der vergangenen Woche vorgestellt: „Die regionale Zusammenarbeit über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg“, sagte Wolf, „ist eine Herausforderung, die an der Oder mindestens in gleicher Intensität wie am Rhein angenommen werden kann.“ Soll heißen: Auch an der deutsch-polnischen Grenze soll eine „konkurrenzfähige Euroregion“ entstehen, so wie die im Karlsruher Abkommen 1997 aus der Taufe gehobene „Region Oberrhein“. Dort arbeiten Deutschland, Frankreich, die Schweiz und Luxemburg erfolgreich zusammen. Was die Bemühungen an der Oder vorantreiben könnte: Es gibt Geld aus Brüssel. In der kommenden Förderperiode der Europäischen Union von 2007 bis 2013 soll das Zusammenwachsen der europäischen Grenzregionen noch wesentlich stärker als bisher gefördert werden.

Doch Brüssel ist weit weg, und auch von Berlin erwartet man sich in Westpolen nicht immer Hilfe. Als großes „Pflaster“ bezeichnet deshalb Piotr Maksymczak, der Herausgeber der Zeitung Puls Gospodarczy (Puls der Wirtschaft), das Vorhaben. Was die neuerlichen polnischen Befürchtungen ausgelöst hat, ist ein Abkommen der deutsch-polnischen Regierungskommission über Zusammenarbeit zwischen Ostdeutschland und Westpolen. Zwischen den Zeilen, meint Maksymczak, könne man da herauslesen, dass „Berlin die Hauptstadt des Lebuser Landes“ werden solle. Auf diesen Gedanken wären nicht einmal die enthusiastischsten Verfechter einer deutsch-polnischen Zusammenarbeit gekommen, meint er.

Um dieses Misstrauen in Polen gegen Berlin, aber auch gegen Warschau weiß Wirtschaftssenator Wolf. Seine Strategie heißt deshalb: Vertrauen bilden. Dass der Berliner Wirtschaftssenator einer der wenigen am rot-roten Kabinettstisch ist, der dem schönen Wort von den „Chancen der Osterweiterung“ auch Taten folgen lässt, hat sich inzwischen in Polen herumgesprochen. So ließ es sich der Marschall (Ministerpräsident) der Woiwodschaft Westpommern, Zygmunt Meyer, nicht nehmen, am Vorabend der Osterweiterung nach Berlin zu kommen. Thema des Treffens mit Harald Wolf: die Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Ausbau der Bahnstrecke Berlin–Stettin.

Einen Tag zuvor bereits hatten Berlin und Brandenburg mit der Woiwodschaft Großpolen und ihrer Hauptstadt Posen ein Abkommen unterzeichnet. Einem Abkommen Brandenburgs mit der Woiwodschaft Lebuser Land hat sich Berlin angeschlossen. Es sind solche bi- oder trilateralen Verträge, aus denen die Oderregion mit der Zeit wachsen soll. „Das Vertrauen“, erklärt Wolfs Büroleiter im Roten Rathaus, Horst Kahrs, „entsteht durch persönliche Beziehungen. Die müssen gepflegt werden.“

Nach und nach aber sollen diese Beziehungen auf eigene Beine gestellt werden. „Das langfristige Ziel der Oderregion ist es“, meint Horst Kahrs, „einen Zweckverband zu gründen, in dem alle Städte, Gemeinden und Landkreise der grenznahen Bundesländer und Woiwodschaften einschließlich Berlin und Posen Mitglieder werden können“. Dieser Zweckverband wäre dann auch der Ansprechpartner für die Europäische Union, wenn es um die Verteilung der Finanzmittel für die Grenzgebietsförderung geht.

Das klingt alles schön bürokratisch, und das ist gewollt. Ja keine Angriffsflächen bieten, lautet die Devise. Das gilt auch für den Namen des Netzwerks selbst. Die Raumplaner der deutsch-polnischen Regierungskommission hatten den Namen „Deutsch-Polnisches Haus“ vorgeschlagen. Dach dieses Hauses sollte Stettin sein, das obere Stockwerk bildeten Berlin und Posen, im Erdgeschoss lägen Dresden und Breslau. Doch die Bilderliebe der Planer löste in der Region nur wenig Begeisterung aus, wie der polnische Handelsattaché Tomasz Kalinowski weiß. „Das erinnerte sehr an Gorbatschows Europäisches Haus; das ist in Polen nicht beliebt.“ Hinzu kam, dass dieses Haus die Befürchtungen stärkte, dass die fünf Großstädte der Region den Kuchen unter sich verteilen.

Aber auch die von Wirtschaftssenator Wolf und seinem Stettiner Mitstreiter Zygmunt Meyer betriebene Strategie der bi- und trilateralen Vernetzung auf Länder- und Woiwodschaftsebene ist bislang noch Stückwerk. Sie konzentriert sich vor allem auf den Norden der Oderregion. Ähnliche Vereinbarungen mit Niederschlesien abzuschließen tut man sich schwer. Der Grund: Anders als die wirtschaftsschwachen Woiwodschaften Westpommern und Lebuser Land ist das boomende Niederschlesien nicht auf Berlin angewiesen, geschweige denn auf das darbende Brandenburg, mit dem es noch nicht einmal eine Grenze teilt. „In Breslau orientiert man sich deshalb mehr in Richtung Sachsen und Tschechien“, räumt auch Wolfs Büroleiter Kahrs ein. „Das Dreiländereck Niederschlesien, Ostsachsen und Nordböhmen ist eine starke Region, das ist auch eine Konkurrenz.“

Gleichwohl haben Berlin und Brandenburg die Hoffnung noch nicht verloren. Anfang kommenden Jahres werden Harald Wolf und sein Brandenburger Kollege Ullrich Junghanns nach Breslau reisen, um auch dort die Gespräche über eine trilaterale Vereinbarung voranzubringen.

Vielleicht haben sie Erfolg. Denn der Geist, der hinter der Oderregion steckt, ist ein anderer als der der einstmals preußischen Schlesienpolitik, die stark auf Berlin als Zentrum und Schlesien als Provinz ausgerichtet war. „Dieses Denken von Metropole und Hinterland ist Schnee von gestern“, sagt dazu Horst Kahrs. „Vernetzung heißt, dass man mit Partnern zusammenarbeitet.“ Mit anderen Worten: Berlin darf nicht nur haben wollen, Berlin muss auch abgeben. Das ist tatsächlich eine andere Philosophie regionaler Zusammenarbeit als die, die aus dem „Stolpe-Plan“ sprach.

Das honoriert man inzwischen auch in Polen, wo die Kritik mit anderen Tönen daherkommt als noch vor einigen Jahren. „Im Grunde ist die Oderregion die einzige Chance, die wir haben“, sagt der Publizist Krzysztof Chmielnik aus Zielona Góra. Uneingeschränkt optimistisch ist er deshalb noch lange nicht. Chmielnik fürchtet, dass vor allem mittelgroße Städte wie Zielona Góra die Verlierer einer Zusammenarbeit zwischen den Großstädten Stettin, Berlin, Posen, Breslau und Dresden sein können. Deshalb haben sich Zielona Góra und die beiden Oderstädte Sulechów und Nowa Sól bereits zu einer „Dreistadt“ zusammengeschlossen.

In Berlin versteht man das Problem. Die Entwicklung könne tatsächlich über die unmittelbare Grenzregion hinweggehen, sagt Horst Kahrs. „Doch das ist nicht nur ein deutsches Thema. Das gibt es auch in Posen. Auch da profitieren die Umlandregionen nicht unbedingt von der Wirtschaftsstärke der Messestadt.“ Kahrs versichert aber, dass die Mittelstädte und ländlichen Regionen die gleichen Rechte und Möglichkeiten hätten wie die großen Wirtschaftszentren. Eine Vernetzung untereinander sei deshalb geradezu erwünscht.

Ob die Oderregion bis zum Beginn der neuen Förderperiode in Brüssel 2007 tatsächlich vorankommt, ob die einzelnen Verträge zwischen den Bundesländern und Woiwodschaften mit Leben gefüllt werden, hängt aber noch von einem anderen Faktor ab: Zu einer richtigen Partnerschaft gehört auch ein gemeinsamer Arbeitsmarkt. Schon lange setzt sich Wirtschaftssenator Wolf dafür ein, die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit 2005 zu beenden. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, könnten im nächsten Jahr alle Ministerpräsidenten und Woiwoden der Oderregion zusammenkommen. „Eine gemeinsame Erklärung für die sofortige Freizügigkeit wäre der beste Startschuss für eine erfolgreiche Zusammenarbeit“, hofft deshalb Horst Kahrs. „Eine Euroregion Oberrhein ohne Freizügigkeit wäre schließlich auch nicht vorstellbar.“

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