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taz-adventskalender (11/12): Ehemals besetztes Haus am Fraenkelufer 48Das Tor der „Fraenkelburg“

Stehen Sie auf fade Schokotäfelchen? Wir auch nicht. Die Türen des taz-Adventskalenders verbergen anderes: geheime Schätze und wilde Tiere. Sex and Crime. Letzte Dinge. Bis Weihnachten öffnen wir täglich eine Tür – auf einem Kalender namens Berlin.

Die Dunkelheit ist bereits über die Stadt hereingebrochen, als sich eine Gruppe von Leuten zum Fraenkelufer aufmacht. Sie wollen das leer stehende Haus Nummer 48 besetzen. Gegen 17 Uhr brechen sie das verschlossene Hausportal auf. Ein besetztes Gebäude mehr – in Kreuzberg nichts Ungewöhnliches. Doch 20 Minuten später fahren Mannschaftswagen der Polizei auf. Die Besetzer werden geräumt. Die Eingangstür wird zugemauert.

Diese erste Häuserräumung in Berlin ist der Auftakt zu einer zu damaligen Zeiten nie da gewesenen Straßenschlacht. Bis spät in der Nacht – wir schreiben den 12. Dezember 1980 – klirren in Kreuzberg Scheiben, brennen Barrikaden. In den folgenden Monaten erlebt Berlin einen bespiellosen Hausbesetzerboom.

24 Jahre später. Die Dunkelheit ist bereits über die Stadt hereingebrochen. Am Fraenkelufer ist keine Menschenseele zu sehen. Das Eingangsportal der Hausnummer 48 ist abgeschlossen. Erst nach langem Schellen an den Klingeln verschiedener Wohnungen wird geöffnet. Im Treppenhaus riecht es nach frischer Farbe. Aus dem Dachgeschoss ertönt der Krach von Bohrmaschinen: Es wird gerade zu Eigentumswohnungen ausgebaut. Auch die übrigen Wohnungen des Hauses hat die Eigentümerin GSW vor ein paar Jahren an die Mieter verscherbelt. Das Leben unter einem Dach reduziert sich auf die Formel: „Man kennt sich und grüßt sich.“ Die Gemeinsamkeit beschränkt sich auf die schöne Aussicht über den Landwehrkanal, die sonnige Lage und so profane Dinge wie die Haustür. „Tür immer geschlossen halten, sonst Diebstahl und Einbruch. Danke“, steht auf dem Schild, das an der himbeerroten Pforte hängt.

Im Vergleich dazu waren die 80er-Jahre wilde Zeiten. Nach den Krawallen am 12. Dezember hatte die Bewegung Wind im Rücken. Zwei Tage nach der Räumung sind das Gebäude Fraenkelufer 48 und mit ihm die Nachbarhäuser 46 und 50 wieder besetzt. Kurz darauf ist in Polizeikreisen nur noch von der berüchtigten „Fraenkelburg“ die Rede, denn die Bewohner pflegen den Nimbus, die militante Speerspitze der Bewegung zu sein. Ein Polizeibeamter, der seine Erinnerungen in einem Buch niedergeschrieben hat, schildert die Ereignisse so: „Polizeifahrzeuge wurden aus den Fenstern mit Steinen beworfen. Auf Fotografen, die von den Häusern Bilder machen wollten, war gezielt mit Stahlkugeln geschossen worden. ‚Tod den Schweinen!‘ – Die Besetzer meinten es offenbar ernst mit dieser Parole. In den Dachluken hatten sie schwere Balken bereitgelegt. Ihr ‚eroberter Freiraum‘ war mit lebensgefährlichen Waffen gesichert.“

Am 25. März 1981 wird die Fraenkelburg von 350 Beamten geräumt. Diesmal bricht die Polizei die Haustür mit einer Ramme auf. Die meisten Besetzer haben schon vorher das Weite gesucht. Nur in der Nummer 48 werden noch 26 Männer und Frauen angetroffen. Ihr angekündigter Widerstand beschränkt sich auf geballte Fäuste und die Drohung: „Wir kommen wieder! Aber dann!“ PLUTONIA PLARRE

Montag: Stadion-Tür für Herthaner

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