: Das Streiten und das Kuscheln
Heike Kahls Deutsche Kinder- und Jugendstiftung will mit „Schule machen!“ zwischen den Fronten des Schulstreites nach Pisa 2003 vermitteln. Dabei sollen Christina Rau und Nadja Auermann helfen. Aber hilft das gegen die Hauptschulguerilla?
VON CHRISTIAN FÜLLER
Der Ton wird härter. In der Bildungspolitik wird wieder gekämpft. Der Bullterrier Bayerns, Erwin Huber, verbiss sich am Wochenende in die Waden der Bildungsministerin des Bundes. Edelgard Bulmahn sei eine „bildungspolitische Geisterfahrerin“, schnappte Huber nach der Sozialdemokratin. Und was die rot-grüne Koalition in Berlin schulpolitisch treibe, sei „Ideologie pur“, schäumte der Chef der Bayerische Staatskanzlei.
So richtig versteht man ja nicht, warum Huber sich so aufregt. Braucht er doch gar nicht. Zwar hat Bulmahn die Hauptschule als nicht zukunftsfähig kritisiert. Aber nur mit Worten. Denn mit Taten kann die nette Ministerin aus Berlin dem harten Jungen aus Bayern ohnehin nicht kommen – schließlich herrscht Bildungsföderalismus. Niemand, nicht mal der liebe Gott, kann die Bayern zwingen, ihre Hauptschule aufzugeben. Obwohl es sinnvoll wäre.
Hubers Äußerungen zeigen, wie hoch der Nervositätspegel nach Pisa 2003 gestiegen ist. Fragte nach der ersten Pisastudie vor drei Jahren jemand nach der dreigliedrigen Schule, war das Thema schnell erledigt. Monika Hohlmeier etwa, Kultusministerin in Bayern, lächelte auf solche Fragen nur vielsagend. Sagen brauchte sie nichts. Inzwischen ist das anders. Die Kultusminister müssen sich bohrender Nachfragen erwehren, ob es zwischen den schlechten Leistungen deutscher Schüler, ihrer sozialen Spaltung und der frühen und scharfen Trennung zwischen den Schulformen nicht doch einen Zusammenhang gebe.
Dass es ihn gibt, steht für Heike Kahl außer Zweifel. Aber die Chefin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, die inzwischen in so vielen (sinnvollen) Einzelprojekten engagiert ist, mag den blöden Streit nicht mitmachen. Ihr ist es egal, ob zuallererst der Unterricht besser werden muss. Oder auf jeden Fall erst alle Schüler in einer Schule lernen müssen. Oder erst mal die Lehrer ihre Fortbildungen absolviert haben.
Heike Kahl will zunächst etwas ganz anderes: Eine andere Form der Streitkultur installieren. Das geht dann so: „Wir brauchen einen zivilgesellschaftlichen Ton in der Schuldebatte“, sagt die DKJS-Dirigentin, „sonst wird das große Nachdenken über neue Auffassungen vom Lernen nicht gelingen.“
Heike Kahl steht nicht allein zwischen den Guerillakämpfern für die Hauptschule (wie Erwin Huber) und den schwachen Berliner Bundestruppen, die diese Restschule abschaffen wollen. Zu Kahls Blauhelmen zählt eine eigentümliche Combo: Die sehr seriöse Christina Rau, bis vor kurzem Hausherrin von Schloss Bellevue, ist dabei. Die sehr schöne Nadja Auermann will die Schulstreiter bezirzen. Sabine Christiansen und Maybritt Illner wollen wahrscheinlich über ein bisschen Frieden im anschwellenden Kulturkampf reden. Und Rosenstolz macht mit und Gesine Schwan und Veronica Ferres. Auch Männer sind erlaubt – wenn sie bloß keinen Krach schlagen: Lothar Späth etwa oder Peter Haase von VW-Coaching oder der sehr kluge Dieter Lenzen, Präsident der FU Berlin.
Sie alle wollen zusammen „Schule machen!“. So heißt die Initiative, die sich auf Wunsch von Heike Kahl und dem Publizisten (und taz-Autor) Reinhard Kahl zusammengetan hat. Der wichtigste Mitstreiter der bunten Friedenstruppe ist Jürgen Baumert. Der Chef des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung wirkt aber ausdrücklich nicht als solcher mit – sondern als Bürger. „Wir brauchen in der Schule ein neues Ethos der Verantwortung der Lehrer“, sagt der Mann, der Pisa 2000 leitete. „Verantwortung für zivilgesellschaftliche Formen in der Schule und für jeden einzelnen Schüler“. Und dieser neue Schulton, so Baumert, muss sich auch „in der öffentlichen Debatte wiederfinden“. Oder anders: Bund und Länder, rechts und links sollen sich weniger streiten – und mehr Schule machen!
Bricht jetzt der große Konsens aus? Nein, natürlich nicht. Wenige Stunden nachdem die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung ihre Kuscheloffensive gestartet hat, feuerte Hessens Kultusministerin Karin Wolff (CDU) schon die nächste krachende Salve im Schulkampf ab. Sie nannte die Hauptschule ein Sprungbrett. Frau Wolff vergaß zu erwähnen, ob man mit der Hauptschule besser in die Arbeitslosigkeit oder in die Sozialhilfe hopsen kann. Aber sie wusste ziemlich genau, wer ihre Gegner sind: Alle, die an der gegliederten Schule Kritik üben. Eine Abschaffung der Hauptschule kommt für die CDU-Politikerin nicht in Frage.
Und wo sind nun die Sondersendungen von Maybritt Illner und Sabine Christiansen, den beiden Talk-Botschafterinnen von „Schule machen!“? Und ist Nadja Auermann schon bei Karin Wolff vorbeigestöckelt? Und hat Peter Haase, der VW-Manager, etwa ein Chefgespräch mit der bösen Wolff geführt? Nichts von alledem.
Heike Kahl bittet um Geduld. Die Zivilisierung des Diskurses dauere gewiss ein bisschen. Und sie bittet um Spenden. Denn wir dürften nicht nur reden, sondern wir müssten zugleich auch handeln. Es gebe so viele kleine Projekte an deutschen Schulen, die es zu unterstützen gelte, sagt die sehr engagierte Frau Kahl. Und verweist auf den Film von Reinhard Kahl (der weder verheiratet noch verwandt ist mit ihr) über „Treibhäuser der Zukunft“.
Am Sonntag wurde der wirklich sehr gute Film in 30 deutschen Kinos gezeigt. Die Hauptschulguerilla kam dort nicht vorbei. Ein gutes Zeichen?
Reinhard Kahl, „Treibhäuser der Zukunft“. Beltz-Verlag, Video 15 €; DVD mit Buch 29 €. Oder via Internet bestellen bei www.dkjs.de
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