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strom und moralZittern unterm Weihnachtsbaum

Die Einkünfte von Laurenz Meyer sind ein Skandal – ob er nun gelogen hat oder nicht. Abgeordnete verdienen mehr als die durchschnittlichen Steuerzahler, von denen sie ihr Geld erhalten. Das ist prinzipiell gut und richtig so, weil es ihre Unabhängigkeit sichert. Wenn Mandatsträger allerdings meinen, sie hätten auch ein Mandat zur persönlichen Bereicherung, dann kommt Sehnsucht nach den Zeiten auf, in denen nur die Besitzenden politische Ämter ausüben konnten. Da war wenigstens geklärt, was jetzt mühsam recherchiert werden muss: welchen Interessen die Volksvertreter eigentlich dienen.

KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Es gibt viele Dinge, die nicht verboten sind und die sich dennoch nicht gehören. Ein Gast, der besoffen herumpöbelt, riskiert, nicht mehr eingeladen zu werden. Wer gegen die guten Sitten verstößt, muss in nahezu jedem Lebensbereich mit Sanktionen rechnen. Allerdings nicht vor Gericht: Dort zählt nur der Buchstabe des Gesetzes. Es ist ein interessanter Hinweis auf das Selbstbild von Politikern, wenn sie argumentieren wie Angeklagte und gern auf gesetzliche Regelungen verweisen. Als ob mit einer Wahl keinerlei moralische Verpflichtungen einhergingen.

Politiker definieren, was der Bevölkerung zugemutet werden kann. Wenn ein Besserverdienender nicht einmal seinen Strom selbst bezahlt, dann möchte man ihm einfach nicht mehr zuhören, wenn er darüber spricht, was sich andere Leute ihre Gesundheit kosten lassen sollten oder was Sozialhilfeempfänger für die Allgemeinheit zu leisten haben. Oder was er unter Patriotismus versteht.

Fest steht: Das gilt für Herrn Meyer. Aber gilt es nur für ihn? Es hat lange gedauert, bis schwergewichtige politische Gegner der Union laute Kritik am CDU-Generalsekretär geübt haben. Zufall? Die leidigen Weihnachtseinkäufe? Oder Angst? Der Stromkonzern RWE dürfte in Nordrhein-Westfalen nicht nur die Opposition alimentiert haben. Manche Abgeordnete sitzen vermutlich zitternd unter ihren Bäumen. Was werden die „Parteifreunde“ im neuen Jahr unternehmen?

Längst stürzen Politiker regelmäßig nur noch über Dolchstöße aus den eigenen Reihen. Die Affären Arentz und Meyer liefern vor allem Aufschlüsse über interne Machtkämpfe innerhalb der CDU. Über Parteigrenzen hinweg scheint hingegen zu gelten: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Akzeptierst du meinen Kontostand, dann akzeptiere ich deinen. Es ist Ekel erregend.

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