: Vieles verbessert
Elf Jahre prangerte Ghislaine Valter mit „Grenzenlos“ Missstände im Abschiebeknast an. Jetzt beendet sie das Ehrenamt
bremen taz ■ Gemischte Gefühle zum Abschied: Elf Jahre hat Ghislaine Valter mit der – mal mehr, mal weniger großen –Gruppe „Grenzenlos“ den Abschiebeknast ehrenamtlich betreut: Gefangene begleitet, Anwälte organisiert, Missstände angeprangert und so manchmal auch für Schlagzeilen gesorgt. Manchmal hat sie auch getröstet – und Haftrichter, Polizei und Ausländeramt ständig im Visier gehabt. Damit wird künftig Schluss sein. „Ich höre auf“, sagt Valter. Grenzenlos gibt es so nicht mehr. Aber andere Streiter sind im Abschiebeknast schon angetreten – und seit dem Missbrauch-Skandal neue Strukturen aufgebaut.
„Vor einem Jahr konnte ich noch nicht aufhören“, blickt Valter zurück. Gerade war publik geworden, dass ein Polizeibeamter weibliche Gefangene sexuell angemacht und fotografiert hatte. Der Skandal vom sexuellen Missbrauch im Dienst schlug Wellen, Innenressort und Polizei bemühten sich um Schadensbegrenzung, immerhin hatte sich der letzte dokumentierte Vorfall im neuen Präsidium in der Vahr ereignet – in direkter Nähe zur Polizeispitze. Abschiebegewahrsam und Präsidium sitzen im selben Gebäude. Der beschuldigte Polizist schied aus dem Polizeidienst aus, doch ein öffentliches Strafverfahren blieb ihm erspart. Es erging ein Strafbefehl. „Ein Deal“, sagt dazu Valter. Die Aussagen der Kollegen hätten wohl allerhand Missstände im Abschiebegewahrsam publik gemacht. Ein wenig bitter klingt es, wenn sie jetzt das Fazit zieht: „Dieser Skandal hat in kurzer Zeit mehr Veränderung zum Positiven bewirkt, als wir mit elf Jahren sachlicher Kritik.“
Unterm Strich ist der Beitrag von Valter und der Gruppe Grenzenlos aber beachtlich. Das bekräftigt der grüne Innenpolitiker Matthias Güldner. „Ghislaine Valter hat unglaubliche Arbeit geleistet, um die schlimmsten Entwicklungen einer fehlgeschlagenen Ausländerpolitik zu reparieren.“ Ihr Einsatz für humanitäre Mindeststandards und Respekt vor der Menschenwürde Gefangener sei vorbildlich – und ganz gegen den Mainstream der Politik gewesen. „Sie hat Menschen ohne Ansehen der Herkunft geholfen, die schlimme Erfahrung der Abschiebung besser zu überstehen.“ Dies verdiene größte Achtung, erinnert er an die Zustände im Abschiebegewahrsam Mitte der 90er Jahre.
„Unter den Verhältnissen damals, in der heruntergekommenen Ostertorwache hätte man jeden Mittelalterfilm glaubwürdig abdrehen können“, sagt Güldner. Valter erinnert an handfeste Anlässe für Proteste: „Vier Gefangene mussten ihr Essen aus einer Plastikschüssel schöpfen.“ Erst nach öffentlicher Kritik war das dazugehörige Blechgeschirr abgeschafft worden. Einen Aufenthaltsraum aber gab es dort nie – „obwohl diese Gefangenen nichts verbrochen haben. Abschiebegefangene haben nur keinen gültigen Aufenthalt“, erinnert Güldner. Fünf Personen saßen zeitweise in einer Zelle – inklusive der Toilette ohne Schamwand. Erst ein Brand führte schließlich zum Umzug in die Justizvollzugsanstalt Oslebshausen – und zu weiterer Kritik.
Die richtete sich – politisch oft getragen von den Grünen – vornehmlich gegen den Mangel an Sozialarbeit, Gewahrsamsordnung und Transparenz. Kurzum: Mindeststandards, wie sie für Strafgefangene gelten, gab es für Abschiebehäftlinge nicht. Dazu gehören beispielsweise Widerspruchsmöglichkeiten oder juristische Beratung. Das hat sich in diesem Jahr geändert.
„Heute gibt es einen Anstaltsbeirat, einen neuen Seelsorger, eine Sozialarbeiterin und jeden Montag Rechtsberatung“, sagt Valter. „Vieles ist besser geworden.“ Doch der Haftcharakter, das Eingesperrtsein im klimatisierten Haftraum hinter Glasbausteinen statt Fenstern, habe sich nicht geändert. Nach wie vor müssten Gefangene nach den zuständigen Beamten klingeln, die sich nicht direkt im Gewahrsam aufhalten, sondern im Stockwerk darunter.“ Polizisten bekämen so das ungute Gefühl, „auf Knopfdruck“ reagieren zu sollen. „Das ist nicht ideal“, schließt Valter. Auch die Isolationszelle werde ihrer Ansicht nach zu oft und ohne jede Kontrolle eingesetzt – gegen Gefangene.
„Der Abschiebegewahrsam bleibt als Thema der Politik weiter unter Beobachtung“, kündigt unterdessen der grüne Innenpolitiker Matthias Güldner an. Die Pläne von CDU-Innensenator Thomas Röwekamp, Bremer Abschiebehäftlinge in Niedersachsen unterzubringen, müssten verhindert werden – sonst würde sich die Lage der Bremer Gefangenen deutlich verschlechtern. Bislang allerdings winkt Niedersachsen ab. ede
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