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Christen fliehen aus dem Irak

Aus Furcht vor Anschlägen und Übergriffen haben tausende Christen den Irak verlassen. Andere haben bei Verwandten im Norden Zuflucht gefunden. Sie träumen von einer Schutzzone bei Mossul

AUS Al-KOSCH INGA ROGG

Pater Mofid Toma Marcus ist ein lebensfroher Mann, der gerne und viel lacht. Vielleicht erzählt er deshalb mit einem scherzhaften Unterton von der Ankündigung von Großajatollah Ali Sistani, er wolle für den Wiederaufbau von zerstörten Kirchen aufkommen. In den Ohren von Christen klingt das ein wenig wie die Geschichte vom Brandstifter, der Feuer legt und anschließend die Feuerwehr alarmiert.

Je länger sich die Spirale der Gewalt im Irak dreht, um so stärker drohen religiöse Minderheiten wie die Christen und die Täufersekte der Mandäer, aber auch die kurdischen Yezidi und Kakai sowie die verbliebene kleine Gemeinde von Bagdads Juden in ihren Sog zu geraten. Pater Mofid weiß das und lobt Sistanis Geste deshalb als Zeichen der Hoffnung, dass für die Christen im Zweistromland noch nicht alles verloren ist.

Pittoresk liegt der 5.000-Seelen-Ort al-Kosch mit seinen Kuppelhäusern und den sauber gekehrten Straßen am Fuße der kurdischen Berge im Norden von Mossul. Etwas oberhalb der Ortschaft liegt das Kloster des chaldäischen Antoniterordens, dem Pater Mofid als Abt vorsteht. Fünf Mönche leben in dem Kloster, in dem auch ein Waisenhaus untergebracht ist. Insgesamt elf Dörfer mit 25.000 Einwohnern zählt die chaldäische Gemeinde um al-Kosch. „Hier sind wir sicher“, sagt der 37-jährige Pater. Diesmal meint er es freilich ernst. Beinahe täglich suchen in al-Kosch Gläubige vor den Verfolgungen und Nachstellungen im Rest des Landes Zuflucht.

Ein Vierteljahrhundert hat Rumeil Izhak Polis tief im Süden in Basra gelebt. Sieben Jahre hat er in der Armee gedient und mit Schiiten und Sunniten in den Kriegen des ehemaligen Regimes gekämpft. Als die Kriege endlich vorbei waren, eröffnete er in Basra einen Alkoholladen. Die Geschäfte gingen nicht schlecht, nach dem Wegfall der Handelsschranken hoffte Polis auf gute Einnahmen. Doch die Ersten, die sich in Basra die neue Freiheit zu Eigen machten, waren nicht die Trinker und Sinnesfreudigen, sondern islamistische Sittenwächter.

„Sie drohten, mein Geschäft in Brand zu setzen“, sagt der 55-jährige Familienvater. Erst habe er die Drohung nicht ernst genommen. Doch die selbst ernannten Sittenwächter ließen nicht locker. „Es war furchtbar“, mischt sich seine Frau Fadia in das Gespräch ein. Zuerst musste sie sich eine Abaja, den schwarzen Umhang der Musliminnen, überstülpen, wenn sie auf die Straße wollte. „Schließlich habe ich das Haus gar nicht mehr verlassen“, sagt Fadia. Nachdenklich wiegt ihr Mann die einjährige Tochter Meryem auf dem Schoß. In einer Ecke des kleinen Zimmers blinken die Lichter eine Weihnachtsbaums. „Unter Saddam wäre das alles nicht passiert“, sagt Polis. „Damals ging es uns gut.“

Sein Nachbar, der unter Saddam 19 Jahre in Haft saß, versucht zu widersprechen. Doch der schmale Mann mit dem schlohweißen Haar lässt sich nicht beirren. „Zumindest konnten wir ungestört Alkohol verkaufen“, beharrt er. Als ihm die militanten Sittenwächter mit Mord drohten, habe er sich gebeugt, sagt Polis. Die Familie verkaufte ihren gesamten Hausstand und zog mit ihren vier Kindern nach al-Kosch. Die Familie lebt jetzt in einem kleinen Zimmer im Haus der Eltern von Polis. Mittlerweile sind auch die Ersparnisse aufgebraucht, sodass die Familie auf die Almosen der Kirche angewiesen ist.

Al-Kosch ist voll von Schicksalen wie dem von Rumail Polis und seiner Frau. In beinahe jedem Haus kann man auf Flüchtlinge aus Basra, Bagdad, Kirkuk oder Mossul treffen. Von Süden nach Norden hat die islamistische Gewalt unter den christlichen Gemeinden eine Spur der Angst hinterlassen. Den Anschlägen auf Alkoholläden folgten Entführungen und Morde. Allein in Mossul seien seit Mai 200 Christen umgebracht worden, sagt Pater Mofid. Bombenanschläge auf Kirchen wie im Oktober in Bagdad und im November in Mossul bilden den vorläufigen Höhepunkt in der Serie von Gewaltakten. Etwa 40.000 Christen sind in den letzten Monaten aus dem Irak geflohen. Wegen ihres Glaubens gelten die Christen in den Augen der Extremisten per se als Kollaborateure der Amerikaner und ihrer Verbündeten.

Unsinn sei das, sagt der Pater Mofid. „Wir gehören zu den ältesten Völkern in diesem Land.“ Die chaldäischen Christen zählen neben den Assyrern, mit denen sie bis heute die Mehrheit unter den schätzungsweise 800.000 Christen im Zweistromland bilden, zu den ältesten Christengemeinden. Im 15. Jahrhundert schlossen sich die Chaldäer Rom an. In der Gegend um das historische Nineve, der heutigen Provinz Mossul, bewohnten sie lange ein geschlossenes Siedlungsgebiet. Neben vielen kleineren Kirchen gibt es darüber hinaus in Bagdad eine große armenische Gemeinde, die aus Flüchtlingen hervorging, die Anfang des 20. Jahrhunderts vor dem Genozid in der Türkei flohen.

Mit einer Geste des guten Willens hat der kurdische Politiker Dschalal Talabani nun den Christen Land versprochen, sollten sie sich in Suleimaniya niederlassen. Bislang sollen sich 1.000 Familien in die Listen eingetragen haben. Pater Mofid lächelt. Dies sei eine schöne Idee, sagt er. Aber das alte Wohngebiet der Christen liege bei Mossul. Dort sollte eine Schutzzone für die Christen eingerichtet werden, sagt er. „Nur dann können wir vor Verfolgungen sicher sein.“ Von der Pforte des Klosters schweift sein Blick nach Süden, in die Ebene, dorthin, wo Mossul liegt.

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