: Ware Kind per SMS angeboten
In der Krisenregion verdichten sich Anzeichen, dass Menschenhändler verwaiste Kinder verkaufen. Unicef fordert schärfere Grenzkontrollen
AUS BANGKOK NICOLA GLASS
Unicef ist alarmiert. Dem UN-Kinderhilfswerk liegen Berichte vor, wonach Kinder möglicherweise aus der von der Flutkatastrophe besonders schwer betroffenen Provinz Aceh an der Nordspitze Sumatras verschleppt worden sind. Im benachbarten Malaysia sei bei einem Unicef-Mitarbeiter eine SMS eingegangen, in der rund dreihundert Waisenkinder aus Aceh im Alter zwischen drei und zehn Jahren zur Adoption angeboten wurden. Das bestätigte Shantha Bloemen, Sprecherin des für Ostasien und Pazifik zuständigen Regionalbüros in Bangkok, gegenüber der taz.
Die Mitteilung suggeriert: Entweder befinden sich die Kinder schon in der Gewalt von Menschenhändlern, oder die Hintermänner haben grundsätzlich die Möglichkeit, mehrere hundert Kinder zu verschleppen.
Die SMS aus Aceh ist offenbar nicht die einzige. Zahlreiche solcher Meldungen sollen seit kurzem in der Krisenregion kursieren. Darin werden Waisen aus Sumatra zur Adoption angeboten. Wer oder was im Einzelnen dahintersteckt, ist noch unklar. Durch die verheerende Tsunami-Katastrophe wurden mehrere zehntausend Kinder zu Waisen gemacht oder von ihren Familien getrennt. Die indonesische Regierung geht davon aus, dass etwa 35.000 Kinder mindestens ein Elternteil verloren haben. Nach dem Tod von Mutter, Vater oder anderen Angehörigen, inmitten der Trümmer, wächst die Gefahr, dass Kinder Schleppern hilflos ausgeliefert sind.
Chaos als Marktlücke
Dass Menschenhändler das allgemeine Chaos auszunutzen versuchen, ist für Hilfsorganisationen und Regierungen ein zusätzlicher Schock. „Indonesiens Regierung hat darauf ziemlich rasch reagiert“, lobt Shantha Bloemen vom Unicef-Regionalbüro in Bangkok die Behörden. Einerseits dürfen Kinder unter 16 Jahren die Provinz nicht verlassen, bevor sie nicht am Flughafen, in Hafenstädten oder anderen Sicherheitsposten registriert wurden. Zudem haben die zuständigen Behörden in Aceh der generellen Adoptionsbereitschaft einen Riegel vorgeschoben. „Wir haben uns entschieden, Adoptionen vorläufig nicht zu erlauben, um Kontroversen und auch potenziellen Menschenhandel zu vermeiden“, sagte der für soziale Angelegenheiten zuständige Minister Bachtiar Chamsyah der Tageszeitung Jakarta Post. Zunächst müsse eindeutig geklärt werden, ob nicht doch noch ein Familienangehöriger lebe, der sich des jeweiligen Kindes annehmen könne. Indonesiens Nationale Polizei als auch lokale Beamte seien angehalten, mögliche Fälle von Menschenschmuggel im Auge zu behalten, so Unicef-Mitarbeiterin Shantha Bloemen.
Das Kinderhilfswerk ist dabei, zwanzig Anlaufzentren für Kinder allein in der Provinz Aceh einzurichten. Das erste wurde gestern in der Hauptstadt Banda Aceh eröffnet. Dort werden die zumeist völlig traumatisierten Kleinen medizinisch und psychologisch betreut. Mithilfe lokaler Partnerorganisationen sollen Eltern oder andere Familienmitglieder ausfindig gemacht werden. Die Kinder in diesen Zentren werden offiziell registriert, um sie vor Schleppern zu schützen. Bereits vor der Flut war die Region berüchtigt: Sowohl die Hafenstadt Medan, an der Ostküste Sumatras gelegen, als auch die Insel Batam vor Singapur gelten als Umschlagplätze für Kinder aus Indonesien.
Berichte über Missbrauch
Sorgen bereiten Hilfsorganisationen auch die Zustände in den anderen Katastrophengebieten. In Sri Lanka, das neben dem indonesischen Sumatra am schwersten von der Flutwelle betroffen ist, gibt es laut offiziellen Angaben mehrere hundert Vollwaisen. In Flüchtlingslagern kursieren Berichte über sexuellen Missbrauch an Kindern sowie Vergewaltigungen von Teenagern, die orientierungslos umherirren.
Offen bleibt weiter das Schicksal eines in Thailand verschwundenen Zwölfjährigen. Ausländische und thailändische Ermittler gehen immer noch Hinweisen nach, laut denen der kleine Schwede aus einem Hospital entführt worden sein soll. Angesichts der heute in Indonesiens Hauptstadt Jakarta stattfindenden Hilfskoordinationskonferenz rief Unicef die Teilnehmer dazu auf, die Unterstützung von Kindern in den Mittelpunkt der Beratungen zu stellen.
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