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PROTESTE IN RUSSLAND: PRÄSIDENT PUTIN WIRD EINIGE MINISTER ENTLASSENKeine Machtfrage

Eine Protestwelle schwappt über Russland. Dergleichen hat Moskau seit langem nicht mehr gesehen. Ausgerechnet die Alten und Gebeutelten sind es, die die Initiative ergreifen und ihren Unmut auf die Straße tragen. Tausende demonstrieren seit einer Woche gegen eine neue Sozialpolitik, die Vergünstigungen kürzte, an die sich Rentner, Arbeits- und Kriegsveteranen seit dem Kommunismus gewöhnt hatten. Geldwerte Leistungen, die aber auch eine Spur Wertschätzung der Gesellschaft für die Betroffenen widerspiegelten.

Dabei stellen die Demonstranten nicht die Machtfrage. Der Protest ist – anders als in der Ukraine – nicht nach vorn gerichtet; auch wendet er sich nicht gegen die wiedererstarkten autoritären Strukturen. Der Unmut passt zum klassisch russischen Verhältnis von Volk und Obrigkeit. Der „gute Zar“ Putin soll richten, was korrupte und inkompetente Untergebene verzapft haben. Der Präsident erscheint losgelöst von der Regierung.

Bei diesem kognitiven Archetyp dringt nicht ins Bewusstsein, dass Putin die Entscheidungen trifft. Dies schützt ihn vor den Alltagspannen und brachte dem Kremlchef das Attribut des Teflon-Präsidenten ein: Welche politischen Fehler er auch begehen mag, nichts bleibt an ihm hängen. Dennoch ist der Kreml verunsichert. Zweitrangige Sündenböcke dürften ob der eklatanten Fehleinschätzung mit ihrem Posten bezahlen. Das gehört zur Logik einer Machtinszenierung, die den Kremlchef mit einem Unfehlbarkeitsdogma versieht.

An dieser Politstrategie wird der Rentnerprotest nichts ändern. Dennoch muss Putin im ureigenen Interesse rasch reagieren und Entschiedenheit demonstrieren. Weitet sich die Unzufriedenheit aus, könnte die hungrige Gefolgschaft des Kremlchefs auf abwegige Gedanken kommen und seiner womöglich gar überdrüssig werden. Denn hat sein Image als Landesvater erst einmal gelitten, ist er nicht mehr zu viel nütze. Bisher hat Putins Popularität den schamlosen Bereicherungsdrang seiner Entourage gedeckt. Entfällt diese Dienstleistung, braucht man ihn nicht mehr. Ein neuer guter Zar ist schnell gefunden. KLAUS-HELGE DONATH

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