: Star Wars im Alten Land
Auch Gabi Quast sieht sich die olympiareife Enthüllung des Riesenairbus im ZDF an. Ihr Dorf Neuenfelde soll dem Ausbau des Hamburger Flugzeugwerkes zum Opfer fallen. Die Ikone des Widerstandes gegen den A 380 kann kaum glauben, was sie sieht
Aus Hamburg-NeuenfeldeSven-Michael Veit
„So schlimm“, sagt Gabi Quast, „hätte ich mir das nicht vorgestellt.“ Das, was da seit gut einer Stunde über den Bildschirm in ihrem Wohnzimmer flimmert. Der erste A 380 wird am Dienstagvormittag im Airbus-Werk Toulouse feierlich enthüllt, und das ZDF überträgt live und stundenlang: Lasergesteuerte Bonbonfarben, Wolken aus der Nebelmaschine, Airbus-Jets aller Modelle gleiten lautlos über Videowände, dazwischen schwebt ein altväterliches Miraculix-Plagiat, das irgendwas zu getragen-dramatischer Hintergrundmusik salbadert, die irgendwie an „Star Wars“ erinnert. Gabi Quast, die Obstbäuerin aus Neuenfelde, sitzt auf einer gelben Decke auf dem Fußboden und sagt: „Ist das öde.“
Bundesweit bekannt geworden ist sie im vorigen Jahr als Ikone des Widerstands gegen den Ausbau des Airbus-Werkes im benachbarten Stadtteil Finkenwerder. Monatelang hatte die 44-Jährige sich vor Journalisten, Kamerateams und Interviewanfragen kaum retten können, und nun guckt sie zusammen mit der taz fern. Und nur ihr zuliebe, wie sie zwischendurch erwähnt: „Freiwillig hätte ich mir das nicht angetan.“
Vor allem nicht den Experten im Studio, der sich über Flügelspannweiten, Marktchancen und Arbeitsplätze auslässt. „Die Jobmaschine Airbus“, sagt er, „würde ich nicht in Frage stellen.“ Von Tausenden neuer Jobs schwärmt er, „in Europa, in Deutschland, in Hamburg“, da müssten die Bauern im Alten Land, dem größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet Europas, „notfalls vom Gericht enteignet werden“, damit „der Standort nicht ins Hintertreffen gerät“. Eine Industrienation wie Deutschland könne, spricht der Mann von der Mattscheibe, „nicht mit einer grünen Wiese seine Zukunft gestalten“.
Gabi Quast sagt nichts. Enger zieht sie die Beine an den Körper, nimmt einen Schluck Apfelsaft naturtrüb und starrt auf den Bildschirm. „Dieser Widerspruch“, sagt sie dann langsam und sehr leise. Die Milliardensubventionen für Airbus und andere Hightech-Konzerne einerseits und dann Arbeitslosigkeit, öffentliche Armut, Ein-Euro-Jobs, sinniert sie, ohne den Satz zu vollenden.
Und dann beginnt sie zu erzählen vom Schulprojekt Ökomarkt, an dem Quasts Obsthof sich seit Jahren beteiligt. Schulklassen aus der Stadt kommen da zu ihr, 25 bis 30 pro Jahr, und lassen sich ökologischen Landbau zeigen. Deprimierend sei das oft zuerst, sagt Gabi Quast, 30 halbwüchsige Hauptschüler, und nur zwei oder drei von denen hätten überhaupt Chancen auf eine Lehrstelle. Und wenn sie dann mit ihnen über die Äcker wandert und erklärt oder wenn sie zusammen Apfelmost pressen, dann merke man, sagt Gabi Quast, dass die Jugendlichen sehr wohl interessiert und engagiert seien. „Eine ganze Generation“, sagt die Mutter von vier Kindern kopfschüttelnd, „geben die einfach verloren.“
Wer die sind, sagt sie nicht, muss sie nicht, denn gerade rückt die Kamera sie nahe heran. Blair, Schröder, Chirac sitzen da in der ersten Reihe beim Spektakel in der 500 Meter langen Montagehalle in Toulouse, „und da ist ja auch Ole“ unter den rund 5.000 geladenen Gästen. Zwischen deutschem Kanzler und französischem Staatspräsidenten ist sekundenlang Hamburgs Bürgermeister zu erkennen, schräg hinter den beiden sitzt er.
„Wie schön für ihn“, sagt Gabi Quast.
Eine halbe Stunde zuvor war von Beust groß im Bild gewesen, bei einem eingestreuten 90-Sekunden-Report über den Widerstand der Menschen in Neuenfelde gegen die Verlängerung der Start- und Landebahn im Airbus-Werk. Über Obstplantagen hinweg soll die Piste betoniert werden, quer durch den Ortsteil Rosengarten und dicht bis an den Hauptort heran. Vor fünf Wochen hat der Landwirt Cord Quast, weder verwandt noch verschwägert mit Gabi, seine Grundstücke an die Stadt verkauft, und seitdem ist der Bürgermeister siegessicher. „Dem Ausbau des Werks steht nichts mehr im Wege“, sprach von Beust in Kamera und Mikrophon, und Gabi Quast hatte kurz und heftig den Kopf geschüttelt. „Das wollen wir mal sehen“, kommentierte sie knapp. Erst morgen werden sie und die Anwälte der mehr als 200 Kläger gegen die Airbus-Piste sich auf einer Pressekonferenz äußern. Wollen erklären, wie sie die Lage juristisch und politisch einschätzen. „Wartet bis Donnerstag“, bittet Gabi Quast, vorher sage sie dazu nichts.
Die olympiareife Show nähert sich dem Höhepunkt, die Enthüllung des weltgrößten Passagierflugzeugs naht, und der schwebende Miraculix beschwört mit wohltönender Stimme „Visionen, die zu Realitäten entwickelt werden“, als der Vorhang sich öffnet und den Blick freigibt auf den unschuldig-weißen A380. Das sei „eine sehr schöne Feier mit viel Poesie“, schwärmt der Mann vom ZDF.
„Ja“, sagt Gabi Quast, „und überhaupt kein Pathos.“
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