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Union soll schuld am Visa-Debakel sein

Die Grünen sehen keinen internen Zwist: Joschka Fischer und Ludger Volmer waren beide für umstrittene Visa-Verordnung. Stattdessen erinnern die Grünen daran, dass das halbe Exkabinett Kohl im Menschenrechtsausschuss für den Volmer-Erlass war

AUS BERLIN ULRIKE HERRMANN

Eindeutiger kann sich eine Parteispitze nicht hinter einen bedrängten Abgeordneten stellen: Grünenchef Reinhard Bütikofer dementierte gestern energisch, dass Exstaatsminis- ter Ludger Volmer versucht hat, die Verantwortung für einen umstrittenen Visa-Erlass abzuwälzen. Das sei „Fact-Finding durch Kolportage“, empörte sich Bütikofer. Die Behauptungen seien „nicht nur völlig verfehlt, sondern bösartig“. An den Medienberichten hätten „der eine oder andere Spindoctor mitgewirkt“.

Der Spiegel hatte den Eindruck erweckt, der Exstaatsminister würde sich von einer Verordnung distanzieren, die inzwischen als „Volmer-Erlass“ bekannt ist. Datiert vom 3. März 2000 wies das Rundschreiben die deutschen Botschaften weltweit an, bei strittigen Visa-Anträgen „im Zweifel für die Reisefreiheit zu entscheiden“. Seit Donnerstag erforscht ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, ob damit der Menschenhandel aus Osteuropa erleichtert wurde. Allein in Kiew verdoppelten sich die erteilten Visa zwischen 1999 und 2001 auf knapp 300.000 pro Jahr. Erste Gerichtsurteile gegen Schleuserbanden sind ergangen; der umstrittene Erlass wurde ausgesetzt.

Laut Spiegel soll Volmer nahe gelegt haben, dass die Verordnung letztlich von Außenminister Joschka Fischer stammt. Der Erlass sei vom „Referatsleiter bis zum Minister“ abgezeichnet worden; nur er, Volmer, habe nicht unterschrieben. Diese Zitate bestreitet der Exstaatsminister nicht. Doch habe er damit nur die „formalen Entscheidungsabläufe“ dargestellt. Ein parlamentarischer Staatsminister sei eben nicht weisungsbefugt; Erlasse würden von den zuständigen Abteilungen verfasst und vom Minister abgesegnet.

Inhaltlich will sich Volmer jedoch nicht distanzieren: „Politisch finde ich den Erlass völlig richtig“, sagte er der taz. Schließlich habe er „die Anregung gegeben, die Visapraxis zu ändern“, nachdem er immer wieder mit Beschwerden konfrontiert wurde, die Botschaften würden ihren Ermessensspielraum zu rigide nutzen.

Die Grünen wissen, dass das Spiel „Wer war am Volmer-Erlass schuld?“ nur funktioniert, wenn sie so wirken, als würden sie sich für ihre humane Visapraxis entschuldigen. Also geben sie sich offensiv. Der grüne Obmann im Untersuchungsausschuss, Jerzy Montag, sieht keinen Grund, den Erlass „zu verstecken, der rot-grüne Politik konkretisiert hat“. Eindeutig äußert sich auch das Außenministerium: „Jeder Erlass wird von der Amtsleitung gebilligt“, sagte gestern eine Sprecherin und meinte damit offensichtlich Joschka Fischer. Eine andere Darstellung wäre auch abwegig, heißt es doch im Erlass: „Nach umfassender Überprüfung unserer Visumspraxis hat Bundesminister Fischer Weisung erteilt, das Verfahren der Visumserteilung zu verbessern.“

Der Union kommt die neue Zuständigkeitsdebatte entgegen. CDU-Chefin Angela Merkel analysierte gestern erfreut, man könne jetzt vom „Fischer-Erlass“ sprechen. Diese Sicht ist allerdings nicht neu; auch bisher schon sprach der CDU- Obmann im Untersuchungsausschuss Jürgen Gehb beharrlich vom „Volmer-Fischer-Erlass“. Schließlich ist der Außenminister das eigentliche taktische Ziel der Union: Er würde es „nicht mit Trauer hinnehmen“, sagte Gehb schon letzte Woche, falls „Herr Fischer“ durch den Untersuchungsausschuss beschädigt würde.

Die Grünen kontern, indem sie die mögliche Schadensbilanz parteiübergreifend erweitern. Bütikofer empfahl gestern, die Protokolle des Menschenrechtsausschusses zu lesen. „Das halbe Exkabinett Kohl“ habe sich 2000 für den umstrittenen Erlass eingesetzt – darunter „Geißler, Blüm, Schwarz-Schilling und Leutheusser-Schnarrenberger“.

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