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Chaostage bei Opel in Rüsselsheim beginnen

Der Autobauer schlingert bei Abfindungen für die älteren Angestellten. Nun drohen betriebsbedingte Kündigungen

RÜSSELSHEIM taz ■ 6.500 Arbeitsplätze will die Opel AG allein in ihrem Stammwerk in Rüsselsheim abbauen. So sieht es das zwischen den Betriebsräten und dem Vorstand im Dezember verabschiedete Restrukturierungsprogramm vor. Doch das droht nun im Chaos zu versinken. Die vermeintliche Zauberformel nämlich, wonach zuerst junge und ledige Beschäftigte die angebotene Abfindung nehmen und in eine Beschäftigungsgesellschaft wechseln sollen, bezirzt die anvisierte Zielgruppe kaum.

Nach nur wenigen Jahren bei Opel sei die Abfindung doch „ein Witz“. Das beklagte ein 25 Jahre alter Angestellter auf dem Forum „Darstellung der aktuellen Situation der von der Entlassungswelle bei Opel betroffenen Kollegen“. Die Initiatoren der Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV hatten dieses in der letzten Woche in Rüsselsheim veranstaltet. Unisono hieß es dort: Mit nur 10.000 Euro an Abfindung könne man sich keine neue Existenz aufbauen. Und eine neue Arbeitsstelle sei nirgendwo in Sicht. Dennoch werde von den Bereichs- und Abteilungsleitern enormer Druck gerade auf die jungen Mitarbeiter ausgeübt. Das sei schon „Psychoterror“, sagte ein anderer Beschäftigter. Man werde „rund um die Uhr bedrängt“.

Auf der anderen Seite weigert sich die Unternehmensleitung, viele der zum Verlassen der Firma entschlossenen älteren Arbeitnehmer, die mit Abfindungen von bis zu 400.000 Euro rechnen können, ziehen zu lassen. „Wir müssen sicherstellen, dass wir auch nach der Restrukturierung noch über eine funktionsfähige Organisation und die nötige Qualifikation verfügen“, sagt dazu Personalvorstand Norbert Küpper. Er verwies auf das Kleingedruckte im Vertrag: Das Unternehmen, erklärte Küpper, entscheide letztendlich darüber, ob ein Mitarbeiter mit einer Abfindung ausscheiden kann oder nicht.

„Die Alten sind denen zu teuer“, so die verbitterte Einsicht auf dem Forum. Dort wurde auch berichtet, dass Beschäftigte, die bereits einen Auflösungsvertrag unterschrieben haben, sogar aus dem Urlaub in die Firma zurückgeholt worden seien.

Tatsächlich unterschrieben haben die Auflösungsverträge allerdings erst knapp 2.000 Arbeitnehmer in Bochum und in Rüsselsheim; und vom Unternehmen gegengezeichnet wurden die wenigsten. Jetzt drohen doch betriebsbedingte Kündigungen, falls eine noch einzurichtende Einigungsstelle auch keine dem Restrukturierungsvorhaben adäquate – und akzeptable – Lösung erarbeiten sollte.

Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Franz wird derweil sichtlich nervös. Die Initiatoren des Forums etwa desavouierte er als Menschen, die „mit Falschaussagen und den Ängsten der bei Opel Beschäftigten Politik machen“ wollten und auf diese Weise ihr „marxistisches Weltbild“ zu transportieren versuchten. So zitierte eine Lokalzeitung den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden.

Zudem verbannte Franz im Alleingang die taz aus dem Presseverteiler des Betriebsrates. Grund: Diese Zeitung hatte es gewagt, Passagen aus einem Flugblatt des in Opposition zu den Betriebsräten der IG Metall stehenden unabhängigen Betriebsratsmitglieds Eugen Kahl zu veröffentlichen. Ob sich die anderen 44 Betriebsräte in Rüsselsheim zu diesem unprofessionellen, dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Presse widersprechenden Gebaren von Franz geäußert haben? Bislang noch nicht.

Dabei glaubt Franz offenbar auch selbst nicht mehr an den Erfolg des von ihm mit konzipierten Restrukturierungsprogramms: Am Wochenende drohte er dem Management von Opel mit einer Klagewelle gegen etwaige Entlassungen, „wenn uns die Geschäftsleitung zu einem Sozialplan und betriebsbedingten Kündigungen zwingt“.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

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