: Kilometerlanges Glück
Der Arsch der Welt hat einen Namen: Emsland, klar. Doch wie heißt seine Furche? A 31. Oder Emslandautobahn. Oder Friesenspieß? Egal – es zählen Belag und Geschwindigkeitsbegrenzungen
vom Friesenspieß Burkhard Straßmann
Schlag nach bei Google: „Friesenspieß“ hat 216 Treffer, „Ostfriesenspieß“ 265. Na also. Andererseits ist „Friesenspieß“ auch ein architektonisches Merkmal des typischen Friesenhauses, jene spitze, hochgezogene Gaube über der Eingangstür, die eine Friesenimmobilie gleich um 30 Prozent teurer macht. Friesenspieß ist also eindeutig der subtilere Name für die erst 2004 fertiggestellte Autobahn zwischen Bottrop und Emden. Also pfeifen wir auf Google und starten die Befahrung des Friesenspießes. Bei Kilometer 20, in Leer/Ostfriesland.
Leer der Himmel, leer das Land, nur Schafe und Gänse und windschiefe Bäume und Häuser mit tief heruntergezogenen Krüppelwalmdächern. Windräder drehen sich eilig und in großer Zahl, dass einem ganz blümerant wird. Die Straße ist hier schon 14 Jahre alt, abgewetzt und geflickt. Das Fahren bekommt trotzdem schnell etwas Meditatives, wozu allerdings kein Anlass besteht. Denn kaum hat man Gas gegeben, bremst man besser gleich wieder, weil bei Bingum der Emstunnel kommt. Alle einschlägigen Homepages wie radarforum.de warnen vor „Zielfotos“ im Tunnel.
Tatsächlich ist die A 31 besonders sonntagmorgens die Lieblingsstrecke der Hochgeschwindigkeitsszene. Stures Rechtsfahren dient der eigenen Unversehrtheit, wenn aufgemoppelte Gölfe oder entsetzlich schnelle Motorräder Auslauf bekommen. Gerade die schwer unter ihrem Tempolimit leidenden Holländer holen alles aus ihren Kisten raus. Wer hier keine 250 Sachen fährt, gilt als Sonntagsfahrer.
Wesuwe, Meppen, Haselünne. Schwarzer, nass glänzender Torf bis zum Horizont, durchzogen von Entwässerungsgräben und den Gleisen der Torfabbauer. Ein schwermütiges, wenn nicht depressives Land, das man wahrscheinlich nur mithilfe des Katholizismus aushalten kann. Man soll, empfiehlt ein Tourismusförderungsschild, hier radeln und paddeln. Beten kann auch nicht schaden.
Auf dem Parkplatz „Heseper Moor“ ermöglicht das die Autobahnkapelle „Jesus, Brot des Lebens“, eine „Wohlfühlstube im Baustil eines emsländischen Backhauses“, wie wir einer Fotokopie des „Fördervereins Autobahnkapelle“ entnehmen. Ein lichter, ja heiterer Innenraum, Altar, paar Stühle, und das Fürbittenbuch. „...noch einmal in die Augen sehen, ganz fest in die Arme nehmen, um die Wette lachen, deine Hand in meiner, nie wieder loslassen. Du fehlst mir.“ Trauert Dorothea. Lisa und Sarah dagegen danken für die schöne Zeit auf Langeoog. Was uns daran erinnert, dass der Friesenspieß in erster Linie Transitstrecke für Ruhrgebietler mit Norderney-Sehnsucht ist.
Ein riesiger Sandstein mit hochglanzpolierter Stahlplatte informiert uns über das unfassbare Wunder des Lückenschlusses. Jahrelang stöhnte das Land, stöhnten die Anwohner der B 70 und stöhnten vor allem die motorisierten Borkum- und Norderneyfahrer über eine 42 Kilometer lange Lücke in der Autobahn, einen hässlichen Flaschenhals. Dem Bund, der lieber im Osten und rund um Hannover (Expo!) Autobahnen baute, war das Geld ausgegangen, der „Lückenschluss“ sollte erst 2013 stattfinden.
Da wuchs der Unmut in Stadt und Land, und es erhoben sich Männer wie der emsländische Oberkreisdirektor und gern „Provinzfürst“ gescholtene Hermann Bröring und riefen: Dann machen wir’s selbst. Zum ersten Mal in Deutschland wurde dann eine Autobahn mit regionalen und privaten Mitteln mitfinanziert. VW schoss ein Million Euro bei. Der Anhängerbauer Krone sponsorte 500 laufende Autobahnmeter. Selbst die Niederlande gaben etwas dazu.
Beim feierlichen „Lückenschluss“ kurz vor Weihnachten 2004 erscholl „Freude, schöner Götterfunken“ über dem neuen Schüttorfer Kreuz. Und ein gewisser Marco Inderhees aus Nettetal und eine Claudia Schöler aus Papenburg gaben sich unter den Augen von Ministerpräsident Wulff das Ja-Wort, weil Herr Inderhees einmal geschworen hatte, erst zu heiraten, wenn diese Autobahn fertig wäre.
Doch, es ist ein Genuss, auf einer funkelnagelneuen Autobahn dahinzugleiten. Kinderpoglatter Asphalt, hübsch gestaltete Schallschutzwände aus Beton und Holz, frisch gestrichene Brücken, auf denen schon nach dieser kurzen Zeit die Sonntagswinker stehen – als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan. Nur die durchschnittenen Wälder wirken noch wund, verletzt.
Die Parkplätze mit den neuen BAB-Einheitsklos (quadratisch, Backstein, Spitzdach mit Oberlicht, innen alles Edelstahl, berührungsfreies Bedienen der Spülung) sind noch nicht fertig, und auch die in den Autoatlanten schon eingezeichnete Raststätte gibt es noch nicht. Das ist bei einer geplanten Friesenspießfahrt mit Kindern zu bedenken. Zum Essen muss man abfahren und in einem Landgasthof „Schüttorfer Teller“ oder „Vechte.Krüstchen“ bestellen. Schwere Landkost, die man so leicht nicht vergisst.
Ein bemerkenswerter Abschnitt der Autobahn ist Ochtrup Nord. Nach Kilometer 158 kommt gleich Kilometer 81, ab hier wird rückwärts gezählt. Ein Anachronismus aus der Zeit, als Nord- und Südteil der A 31 noch getrennt waren. Ab Ochtrup ändert sich auch sonst alles. Die Straße wird wieder alt, das Umland klüngeliger, unaufgeräumter, am Straßenrand liegt Dreck rum.
Ab Kilometer 61 gibt’s sogar Betonbelag. Andererseits nimmt die Landschaft Gestalt an, wächst in die dritte Dimension. Hügelchen recken sich, Pferde strecken sich, und die Häuser nehmen die Mütze aus dem Gesicht. Es wird nordrheinwestfälisch, man röche, stänke es noch, das Ruhrgebiet.
Der Pott, an dessen Rand unsere Test-Befahrung endet, erinnert an die eigentliche und tiefere Bedeutung des Friesenspießes. In der 70ern sollte die Autobahn A 31 nämlich weiter, quer durchs Ruhrgebiet, durch Wuppertal bis nach Siegburg gebaut werden.
Der Widerstand gegen diese Pläne gebar Bürgerinitiativen und diese gebaren die Grüne Liste Umweltschutz, von der es nicht weit zur Gründung der NRW-Grünen 1972 und dem Aufblühen der Bundesgrünen war. Gewagt, aber nicht indiskutabel wäre der Satz, dass ohne Friesenspieß Joschka Fischer womöglich heute noch Taxi führe.
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