: „Paradebeispiel“ Kurnaz: kein Terrorist
US-Gericht entlastet auf Guantanamo festgehaltenen „Bremer Taliban“ vom Vorwurf terroristischer Aktivitäten und kratzt an den Definition
taz: Im Fall Murat Kurnaz gibt es Bewegung, seit eine US-Richterin kürzlich urteilte, dass es keine ausreichende Grundlage für die Inhaftierung von Kurnaz auf Guantanamo gebe. Stehen die Zeichen auf Hoffnung?
Bernhard Docke, Rechtsanwalt: Richterin Joyce Greene hat tatsächlich die Grundsatzentscheidung getroffen, dass die Gefangenen nicht außerhalb des amerikanischen Rechts eingesperrt werden dürfen. Das heißt, dass sie sich auf die amerikanische Verfassung berufen dürfen, dass unter Folter zustande gekommene Geständnisse nicht verwendet werden dürfen und dass die Gefangenen nicht vorab pauschal aus der Genfer Konvention herausdefiniert werden dürfen.
Greene hat sich außerdem auf das Supreme-Court-Urteil vom Juni 2004 bezogen, das festschreibt, dass die Gefangenen Haftgründe durch einen amerikanischen Richter überprüfen lassen können. Sie hat zudem festgestellt, dass die inzwischen eingerichteten Militärtribunale den Verfahrensansprüchen des Supreme-Courts nicht entsprechen und verfassungswidrig sind. Der Fall Murat Kurnaz ist dafür ihr Paradebeispiel gewesen: Ihm wurde Beweismaterial vorenthalten, auf dem die Entscheidung des Militärtribunals beruht, dass er ein so genannter „feindlicher Kämpfer“ sei. Die Definition „feindlicher Krieger“ ist ja so beliebig, dass jeder Vorwurf ausreicht, Kurnaz weiter festzuhalten. Dabei werden ihm keine konkreten Taten gegen Amerikaner vorgeworfen, sondern nur, dass er quasi Leute kennt, die vielleicht Taten vorhatten oder gemacht haben sollen. Das reicht für die Amerikaner, um ihn einzusperren.
Gibt es irgendwo irgendwelche ähnlich weit gefassten Straftatbestände?
Nein. Wir haben es hier mit einer sehr expansiven Auslegung eines Begriffes zu tun, die dem man dem Militär ein großes Maß an Willkür zugesteht. Anschaulich wird das an einer Frage, die Richterin Greene in ihrer Anhörung stellte. Beispiel war ein Schweizer Mütterchen, das für afghanische Waisenkinder spendet. Der Scheck landet ohne ihr Wissen bei Al Qaida. Auf die Frage, ob diese Schweizerin unter die Definition von „feindlichem Kämpfer“ fällt und also inhaftiert würde, antwortete der Regierungsanwalt mit „ja, könnte sein“. Da fällt einem natürlich die Klappe runter.
Wie weit sind Sie denn jetzt noch von einem fairen Verfahren für Kurnaz entfernt?
Das Manko der ersten Supreme-Court-Entscheidung war, dass vieles offen blieb. Die Leerstellen muss jetzt der Federal District Court füllen. Dort sind rund 60 Verfahren anhängig, etwa 55 werden von Richterin Greene entschieden, die restlichen von einem Richter Leon, der am 18. Januar aber entschieden hat, dass die Gefangenen sich nicht auf die amerikanische Verfassung berufen können. Er übernimmt also die Rechtsauffassung der amerikanischen Regierung. Diese beiden gegensätzlichen Positionen werden wohl vor einem höheren Gericht geklärt werden.
Das heißt, Sie werden Ihren Mandanten so schnell nicht zu sehen kriegen?
Eine höchstrichterliche Entscheidung wird sicher noch etwas dauern. Aber es gibt ja parallel zu den Gerichtsverfahren die zunehmende Erkenntnis unter hochrangigen Militärs, dass ein Großteil der Gefangenen für sie wertlos ist – man kann nichts Neues aus den Gefangenen herausfragen.
Dazu kommt, dass die Guantanamo-Häftlinge teuer sind und das Image schädigen. Viele erwarten deshalb, dass im Lauf dieses Jahres eine dreistellige Zahl von Gefangenen entlassen wird.
Der Innensenator will Kurnaz eigentlich nicht nach Bremen zurück lassen – er habe durch seine Abwesenheit das Aufenthaltsrecht verwirkt.
Ich kann nur hoffen, dass der Senator sein vielleicht vorschnelles Urteil revidiert. Bis zu dem kürzlichen Besuch meines US-Kollegen Professor Azmy hatte Murat Kurnaz ja überhaupt keine Außenkontakte. Er wird auf Guantanamo illegal gegen seinen Willen festgehalten und hat offensichtlich, davon geht auch Richterin Greene aus, mit terroristischen Aktivitäten nichts zu tun. Wir haben beim Ausländeramt jetzt Antrag auf Zuerkennung der Aufenthaltsrechte gestellt. Das konnte Kurnaz ja wohl schlecht von Guantanamo aus selbst erledigen.
Fragen: Eva Rhode
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