: Vom Skandal zum Erfolg
Die Umweltorganisation Greenpeace wird in China zunehmend anerkannt: Sie arbeitet schon Hand in Hand mit der Regierung gegen Umweltsünder
AUS PEKING GEORG BLUME
Das Büro in Peking zeigt unverwechselbar: Hier ist Greenpeace zu Hause. Zwischen den zwei Etagen hängt ein riesiges Bild des Umweltschlachtschiffes „Rainbow Warrior“. Rauchen ist nur auf dem Balkon erlaubt. In der Kaffeemaschine gluckert Fair-Trade-Kaffee. Alle zwanzig Mitarbeiter sprechen perfektes Englisch. Zwei von ihnen stammen aus Hongkong, wo Greenpeace schon seit 1997 ein großes Büro unterhält. Sie sind noch die Chefs. Die übrigen aber kommen aus allen Teilen der Volksrepublik.
Yu Jie zum Beispiel – eine junge Frau in Jeans und hellem Anorak – studierte in Nanking am Jangtse-Fluss. Dort erlebte sie 1998 Chinas letzte große Hochwasserkatastrophe. Die mehreren tausend Opfer der damaligen Flut waren für sie Opfer des Klimawandels – seitdem ließ sie das Thema nicht mehr los. Heute ist Yu die Klima-Kampagnen-Leiterin von Greenpeace in China. In Buenos Aires hielt sie kürzlich im Namen aller anwesenden Nichtregierungsorganisationen eine Rede. Es war das erste Mal, dass sich die weltweite NGO-Gemeinde auf einer Regierungskonferenz von einer Chinesin vertreten ließ. Yu tut so, als sei das selbstverständlich. Es ist die gleiche Selbstverständlichkeit, mit der Volkschinesen heute Vorstandsjobs bei Bayer oder Professorenstellen in Harvard übernehmen.
Yu kann stundenlang über das neue Gesetz für erneuerbare Energien reden, das China in diesem Sommer verabschieden will. Sie kennt jeden Paragrafen. Im letzten Sommer hat sie es während vieler kontroverser Anhörungen geschafft, die chinesische Regierung vom deutschen System für die Finanzierung von Wind- und Sonnenenergie zu überzeugen. Dabei benutzte sie viele Argumente von Jürgen Trittin – seinen für chinesische Zungen schwierigen Namen spricht sie akzentfrei aus.
Zu Greenpeace-Arbeit gehört auch das Gefühl, die Autoritäten des Landes herauszufordern. „Sobald sich die Regierung einmal richtig über uns ärgert, müssen wir mit unserer Verhaftung rechnen“, sagt Yu halb ernst, halb scherzhaft. Sie scheint es nicht zu stören, dass Greenpeace bis heute in China keinen offiziellen Status hat.
Statt vom Status lebt Greenpeace in China heute vom Erfolg. Denn nicht nur bei der Energiegesetzgebung hat sich die Umweltorganisation in jüngster Zeit bemerkt gemacht. Zum ersten Mal konnte Greenpeace im Januar in China einen regelrechten Umweltskandal aufdecken: die Abholzung natürlicher Wälder in der Südwestprovinz Yunnan. Sogar das offizielle Staatsfernsehen CCTV berichtete über die Enthüllungen von Greenpeace und zitierte die Organisation dabei mehrmals namentlich. Anschließend kündigte ein Sprecher der Pekinger Forstbehörde Strafmaßnahmen gegen den verantwortlichen Konzern Asia Pulp and Paper (APP, siehe Text unten) an. „So viel Anerkennung gab es für uns in China noch nie“, staunt der Pekinger Greenpeace-Bürochef Lo Sze Ping.
Der Angriff auf APP war für Lo kein leichter Schritt. Bei jedem neuen Projekt in China muss Greenpeace zwischen einem beratenden und einem konfrontativen Ansatz wählen. Daran hat sich seit 1995, als die Organisation ihre erste Aktion in China wagte, nichts geändert. Damals pilgerte eine Gruppe Greenpeacer unter Führung ihres internationalen Sektionschefs Thilo Bode auf den Platz des Himmlischen Friedens in Peking, um dort gegen chinesische Atomversuche zu demonstrieren. Binnen Sekunden wurden die Aktivisten verhaftet. Bode, der bis heute stolz auf die Aktion ist, lenkte anschließend dennoch um: Statt spektakulärer Einzelaktionen bevorzugte Greenpeace in China fortan langfristige Kampagnen wie die (erfolgreiche) Einführung FCKW-freier Kühlschränke oder die (erfolglose) Einführung eines Drei-Liter-Autos.
Zugleich baute Greenpeace ein Büro in Hongkong auf, wo man von den Kommunisten unbelästigt blieb und bald über einen großzügigen Spenderkreis verfügte. Die Volksrepublik ließ sich für Greenpeace nur nach dem Prinzip Deng Xiaopings erobern: Schritt für Schritt (siehe Kasten). Einer gelang 1999: Zum ersten Mal hielt Greenpeace eine Pressekonferenz in der chinesischen Hauptstadt ab und veröffentlichte einen Bericht über die Kosten der Umweltschäden in China – jährlich bis zu 4 Prozent des Bruttosozialprodukts, behauptete Greenpeace. Man wollte damit die Regierung wachrütteln. Inzwischen haben Ökonomen diese Zahl auf 7 Prozent pro Jahr erhöht. Greenpeace hatte also Recht gehabt – und langsam begriff Peking: Man durfte die Umweltschützer schon aus volkswirtschaftlichen Gründen nicht länger ignorieren.
Heute geht die Rechnung der Greenpeace-Strategen auf: Sie hatten erkannt, dass der Umweltschutz in China zu einem zwangsläufigen Konflikt zwischen der Zentrale in Peking und den Provinz- und Lokalbehörden führen würde. Der Skandal in Yunnan ist dafür ein typisches Beispiel: Provinzregierung und APP setzten sich in gemeinsamer Absprache über das nationale Waldgesetz hinweg. Mit Hilfe der Medien konnte Greenpeace den Fall daraufhin hochspielen. Die Regierung in Peking aber – statt die Sache herunterzuspielen – bedankte sich für die Kritik. Ihr fällt es nun umso leichter, die Provinzregierung in Yunnan zum Einlenken zu zwingen.
Das Beispiel könnte Schule machen. Im Januar verhängte Peking gegen den Willen der Provinzen ein Moratorium über 30 Großprojekte, bei denen Umweltauflagen nicht eingehalten wurden. Worauf Greenpeace in einer bemerkenswerten Presseerklärung die „Entschlossenheit“ der Pekinger Kommunisten rühmte. Als arbeite man Hand in Hand. Tatsächlich hatte der Pekinger Vize-Umweltminister Pan Yue zu Jahresbeginn erstmals öffentlich die Rolle der Nichtregierungsorganisationen für den Umweltschutz gewürdigt. „Die Regierung kann nicht alle Projekte im Auge behalten. Wir müssen NGOs und Bevölkerung mobilisieren, um Umweltfolgeschäden anzuzeigen“, sagte Pan.
Wie lange die neue Koalition zwischen Greenpeace und dem Pekinger Umweltschutzministerium hält, aber wird sich erst noch zeigen müssen. Als die Zentralregierung im vergangenen März den Weiterbau eines Riesenstaudamms am Nu-Fluss in Yunnan aus Umweltgründen verbot, jubelte Greenpeace zunächst. Doch inzwischen gab Peking grünes Licht für die Fortsetzung der Bauarbeiten. Bislang sind die meisten Umwelterfolge in China nur Pyrrhussiege. Auch das aber scheint die Greenpeace-Mannschaft in Peking nicht zu stören. „Wir kämpfen hier gegen den wahrscheinlich schon heute größten Umweltverschmutzer der Welt“, sagt Bürochef Lo. Trotz aller Hindernisse – an dieser Aufgabe gilt es nicht zu zweifeln.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen