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Bush kommt, Kentucky Fried Chicken schließt

Der Besuch des US-Präsidenten lähmt das Leben an Rhein und Main und bringt Bewohner in Rage. Rund um die Trasse bleiben die Geschäfte geschlossen, Briefkästen werden abmontiert und die Anwohner unter Hausarrest gestellt

WIESBADEN/MAINZ taz ■ Was er wohl denken wird, der mächtigste Mann der Welt, wenn er heute am späten Nachmittag von Mainz zum US-Militärflughafen Erbenheim chauffiert werden wird? Was geht ihm durch den Kopf in seiner gepanzerten Limousine, die über die gesperrte Rheinbrücke rollt, durch die von allen Bürgern und Fahrzeugen frei geräumten Straßen von Wiesbaden. Deutschland – ein Raum ohne Volk? Oder: Die Deutschen – ein Volk von Polizisten?

Die Uniformierten werden jedenfalls überall sein. Sie sind 15.000 Mann stark und kennen nur einen Befehl: Den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, George W. Bush, und dessen Frau Laura zu schützen. Koste es, was es wolle.

Mehr als 300 Millionen Euro, so die Spekulationen einiger Analysten an der Börse. Schließlich lege der Besuch das ökonomische Herz der Republik, die prosperierende Rhein-Main-Region, temporär lahm. Wenn auch für einen „guten Zweck“, wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) betont: die Pflege der brüchig gewordenen deutsch-amerikanischen Freundschaft nämlich.

Die meisten Geschäftsleute in der Boelckestraße in Wiesbaden, durch die der Konvoi des Präsidenten mit Sicherheit rasen wird, sind nicht ganz so euphorisch; noch nicht einmal die vielen US-Amerikaner dort. Die Boelckestraße sieht aus wie die Einfallstraße nach Paris (Texas): Kentucky Fried Chicken (KFC) residiert neben McDonald’s, Tankstellen neben einem Bau- und einem Supermarkt. „Cars“ werden an jeder Ecke von Deutschen oder ehemaligen US-Militärs gehandelt und an „die Amis“ aus den nahe gelegenen Kasernen und Housing-Areas verkauft.

Doch KFC wird heute nicht geöffnet. Und auch viele andere Gewerbetreibende schließen ihre Geschäfte. „Wegen der ganzen Absperrungen kommen doch eh keine Kunden hierher“, gibt die freundliche deutsche Frau am Autoschalter von KFC einen Tag zuvor Auskunft. Die Geländewagen mit US-Nummernschildern und die Mittelklassewagen der deutschen Kunden stauen sich noch. Die Kids quengeln. „Das Tagesgeschäft ist morgen jedenfalls im Eimer“, sagt sie.

Ihre schwarze Kollegin aus den Staaten interessiert die Visite ihres Präsidenten wenig. Niemand bekomme ihn doch zu sehen, sagt sie enttäuscht. Sie dürfe morgen noch nicht einmal das Haus, in dem sie seit jetzt zwei Jahren mit einem Deutschen zusammenwohne, verlassen. Das habe die Polizei allen Hausbewohnern vor Tagen auf Handzetteln mitgeteilt.

Der angeordnete „Hausarrest“ hat für böses Blut bei vielen Anwohnern gesorgt. Dabei soll die Anordnung doch nicht nur die Sicherheit des Präsidenten gewährleisten, sondern auch die der Anwohner. Denn die Scharfschützen des Präsidenten, so heißt es im Polizeipräsidium West, würden während der Durchfahrt des Konvois alle Fensterfronten, Terrassen und Balkone an der Strecke in die Visiere nehmen. „Der Bush soll bleiben, wo der Pfeffer wächst“, echauffiert sich eine junge Frau vor der „Fischhalle“ in Kastel. Nicht nur, dass man jetzt Angst haben müsse, von „den Amis“ erschossen zu werden; man müsse auch noch zwangsweise zu Hause bleiben: „Das ist Freiheitsberaubung.“

Das sehen andere Bürger genauso, die zuvor noch kreuzbrav ihre Briefkästen an den Hoftoren abmontierten, die Mülltonnen hinter ihre Häuser kutschierten und die Garagen von der Polizei versiegeln ließen. „Dem Bombenleger keine Chance“, so lautet die Losung.

Selbst die Postbriefkästen im Stadtteil wurden vorsorglich abtransportiert. „Soll ich meine Post jetzt vielleicht in Rüsselsheim einwerfen?“, schimpft ein Rentner, der am jenseitigen Ufer des Mains vor einem Lottokiosk steht.

An die Stirn tippt sich auch ein Steinmetz. Er sollte seine zentnerschweren Steinquader und Statuen aus dem Vorgarten hinter das Haus schaffen. Sie könnten „Wurfgeschosse“ für potenzielle Attentäter sein, so der Vorhalt der Polizei. „Die sind doch alle verrückt geworden“, konstatiert der Handwerker. Die Brocken bekämen doch noch nicht einmal vier Mann vom Boden hoch. Die Beamten seien dann am Morgen zwar abgerückt. Doch heute soll dort eine Hundertschaft den Betrieb bewachen. Tausende von Sperrgittern lagen gestern schon an den Straßenrändern.

In Mainz müssen sich die Bewohner der Altstadt und rund um Schloss und Landtag schon seit gestern gefallen lassen, dass Polizisten die Aus- und Eingänge ihrer Wohnhäuser akribisch kontrollieren. Durch kommt nur noch, wer tatsächlich dort wohnt; Besucher werden abgewiesen.

Die „Amis“ kennen kein Pardon, wenn es um die Sicherheit ihres Präsidenten geht. Das alte Laub müsse weg von den Bäumen auf dem Weg zum Dom, den die Ehepaare Bush und Schröder besichtigen wollen, verlangten sie. Schließlich könnten Terroristen dort Sprengsätze verstecken. Die Stadtverwaltung fügte sich.

Die City ist heute ohnehin dicht. In den Rheinhäfen wurden die Sportboote weggeschleppt und die Hafenbecken von Tauchern durchsucht. Die Geschäfte in der Stadt sind fast alle geschlossen: Zwangsurlaub für die Beschäftigten.

Missmut überall? Nein! Ein Handwerksmeister aus Mainz freut sich ehrlich über den Besuch von George W. Bush. Er durfte für einige 10.000 Euro die rund 1.300 Gullys im Regierungsviertel zuschweißen: ein „Bombenauftrag“ also.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

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