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Jerusalem des kleinen Mannes

Geschichtswissenschaftliche Abwägungssache und hölzerne Histörchen: Zwei neue Hamburg-Veröffentlichungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten

Hamburg – wie es begann ist ein historisches Buch über die Anfangsjahre der Stadt. Akribisch, aber manchmal auch etwas verloren liest der Autor, der Historiker Ralf Busch, Kirchengeschichte und archäologische Befunde gegeneinander und beleuchtet ausgewählte Kapitel genauer: die sächsische Hammaburg, Ansgar, Papst Benedikt V. und Adolf III.

Durch das sorgfältige Abwägen auch vager Fakten gelingt ihm jedoch ein kleiner Coup. Es war demnach eine Textstelle in der Kirchengeschichte des Adam von Bremen, die er schon oft gelesen, gar über-lesen hatte, in der Busch auf die älteste städtebauliche Vision Hamburgs aus dem 11. Jahrhundert stieß: Erzbischof Bezelin „plante, die Domburg mit einer Mauer zu umgeben, mit drei Toren und zwölf Türmen zu befestigen“.

Busch deutet das als „die in die Wirklichkeit geholte Vision vom himmlischen Jerusalem“. Diese biblische Vorstellung des Lebens nach der Apokalypse sollte in Hamburg architektonisch umgesetzt werden. Die Idee starb jedoch mit Bezelins Tod, und Hamburg musste weiter auf eine städtebauliche Vision warten.

Gewartet hat mancher auch darauf: einen historischen Comic über die Hansestadt, vom Stil her kaum innovativ. Nun gut, schließlich wollen die Macher ein breites Publikum erreichen, und so wurden 30.000 Exemplare gedruckt von Hamburg – Mit allen Wasser gewaschen.

Beim Lesen vergeht jedoch schnell die Lust. Von der hübsch-dementen Stadtpatronin Hammonia begleitet, stolpert der Leser durch hölzerne Geschichten über die Pest, den Großen Brand, Hagenbeck, den Wiederaufbau und die 1962er Flut. Der brave kleine Mann rettet hier die Welt, und die Politik steht rat- und tatlos dabei – soweit decken sich die Geschichten immerhin mit dem hanseatischen Selbstverständnis.

Die Texte klingen wie von einer Werbeargentur verfasst – und sind es auch. Der herausgebende Verlag Sedworks macht in Grafikdesign und Internetwerbung und erhält ansonsten Aufträge vom Springerverlag und Hamburger Abendblatt. Das erklärt wohl auch, warum dem waschechten St. Pauli-Fan Willi da nach dem Sieg von Schwarz-Schill einzig einfällt, auswandern zu wollen. Die Quittung kommt prompt von der „Silbersack“-Wirtin: „Aber vorher zahlst du, Willi.“ Christian T. Schön

Ralf Busch, Hamburg – wie es begann, Wachholtz Verlag, 64 S., 12,80 Euro; Hamburg – Mit allen Wassern gewaschen, Sedworks, 48 S., 4,95 Euro

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