: Ungeordneter Rückzug aus der Tiefe des Raums
Platzeck will das Fördergeld nicht mehr über Brandenburg ausstreuen. Die einen halten das für eine Befreiung, andere für eine Kapitulationserklärung
VON UWE RADA
Es geht um Grundsatzfragen. Und es geht um Geld. Es geht um die Differenz zwischen prosperierender Ortschaften im Speckgürtel rund um Berlin und der Weite im Rest des Landes Brandenburg. Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) hatte in einem Thesenpapier gefordert, die Fördermittel des Landes künftig nur noch auf den Berliner Speckgürtel zu konzentrieren. Und schon krachte es gehörig in der rot-schwarzen Regierungskoalition.
CDU-Fraktionschef Thomas Lunacek sah Investoren verschreckt und die betroffenen Regionen zutiefst verunsichert. Generalsekretär Sven Petke sprach gar von der „SPD-Idee zur Entsiedelung breiter brandenburgischer Landstriche“. Verbal ist der Streit nach einer Sitzung des Koalitionsausschusses beigelegt. Am Dienstag will das Potsdamer Kabinett bei einer Klausursitzung über Platzecks Pläne reden. Bis zum Sommer sollen erste Ergebnisse der neuen Landesentwicklungspläne vorliegen. Ob es allerdings tatsächlich so schnell gehen wird, ist fraglich. Denn neben der CDU hatte auch die PDS die Platzeck-Pläne als „Kapitulationserklärung“ kritisiert, bei der die entfernten Landesteile „abgehängt“ würden. Gleichwohl, die Zeit drängt.
Schließlich war die „Ruckrede“ von Platzeck auf der Klausurtagung der Brandenburger SPD vom vorvergangenen Wochenende auch eine Reaktion auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) zum Landesentwicklungsplan Flughafen Schönefeld. Dieser wurde für nichtig erklärt, weil er unter anderem dem bisherigen Leitbild der dezentralen Konzentration widerspreche. Brandenburgs Raumordnungsminister Frank Szymanski (SPD) hatte daraufhin zwar den Chef der gemeinsamen Landesplanung Berlin-Brandenburg abgelöst. Doch auch in Potsdam weiß man, dass das Problem mit einer bloßen Personalie nicht zu lösen ist.
Unterstützung erhielt Platzeck nicht nur vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Auch Finanzminister Reiner Speer fachte die Diskussion an, indem er eine neue Kreisreform ins Spiel brachte. Statt bisher 14 soll es in Zukunft nur noch sechs Landkreise geben. Darüber hinaus solle die Zahl der vier kreisfreien Städte auf zwei, Cottbus und Potsdam, reduziert werden. Mit uns nicht, war dazu allerdings die Reaktion der CDU.
Die Kritik an den Platzeck-Plänen konzentriert sich vor allem darauf, was in Zukunft mit jenen Regionen Brandenburgs werden soll, die weit entfernt vom Speckgürtel liegen. In seiner Rede hatte Platzeck dazu lediglich gesagt: „Bildung ist objektiv das einzige Versprechen überhaupt, das sich hier politisch geben und einhalten lässt.“ Viel zu wenig sei das, kritisierte CDU-Generalsekretär Thomas Lunacek. Für die ländlichen Regionen eröffneten sich damit keinerlei Perspektiven.
Das sieht offenbar auch Raumordnungsminister Frank Szymanski so. Einen Tag nach der Regierungsklausur veranstaltet sein Ministerium ein Expertengespräch zum Thema „Die kleine Stadt im äußeren Entwicklungsraum – Tragfähigkeitspotenziale und Strategiefragen“. Dabei geht es neben der Bildung auch um Themen wie Gesundheitsversorgung, Mobilität und touristische Entwicklung.
Mehr innovative Ideen für den ländlichen Raum fordert in diesem Zusammenhang auch der Planer Peter Ebert vom Büro „Stadt und Dorf“. „Sich ganz aus der Fläche zu verabschieden wäre falsch“, sagte Ebert. Man müsse vielmehr nach regionalen Stärken zu suchen (siehe unten).
Auch wenn viele Fragen noch offen seien, meinte unterdessen die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Martina Gregor, sei Platzecks Vorstoß „fast eine Befreiung“. Dass die Lausitz, aus der sie kommt, abgehängt werden wird, glaubt sie nicht. „Wir haben das Kompetenzzentrum Energie“, sagte Gregor. Doch alle bisherigen Landeskonzepte hätten nichts an der wirtschaftlichen Lage der Region geändert.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen