piwik no script img

Rap-Therapie nach dem Raubüberfall

Lange war Gangsta-Rap vor allem Imagesache. Jetzt produzieren und veröffentlichen immer mehr Berliner Rapper aus dem Gefängnis heraus eigene Lieder – und haben Erfolg damit. Als PR-Aktion für die vermeintlichen Poeten des Knasts verschicken ihre Plattenfirmen schon mal Patronenhülsen

VON NANA HEYMANN

Zuerst hat André Langenfeld an einen schlechten Scherz geglaubt. Als das Paket der Plattenfirma öffnete, fiel eine Patronenhülse heraus. Ungläubig starrte der Moderator und DJ auf das silberfarbene Ding. Die Scheibe, um die es eigentlich ging, hat er darüber fast vergessen. Das Album? Es war das Erstlingswerk des Rappers Kalusha, aufgenommen während einiger Freigänge am Wochenende, wie André Langenfeld dem beigefügten Presse-Info entnehmen konnte. Kalusha sitzt im Gefängnis: Er hat sechs Jahre bekommen, wegen bewaffneten Raubüberfalls.

Seit 16 Jahren arbeitet André Langenfeld beim Radio, und in dieser Zeit hat er schon einige absurde PR-Aktionen zur Vermarktung von Künstlern miterlebt. Doch eine mit Patronenhülsen gespickte Postsendung, so der Moderator, sei „so ziemlich der Gipfel“. Natürlich war die PR-Aktion wohl kalkuliert: Das Kreuzberger Label „Ypsilon Records“ wusste genau, was es zu tun hatte, um seinen Künstler zu hypen.

Mit seiner kriminellen Biografie sorgte der Mann im vergangenen Sommer für einigen Medienrummel. Das Album „Nicht zur Nachahmung empfohlen“ verkaufte sich gut, sein Knast-Image half dabei. Mit Titeln wie „Kugeln kennen keine Gnade“ versuchte sich Kalusha in der Rolle des Geläuterten.

Diese Vermarktungsstrategie macht seither bei vielen Berliner Labels Schule. So dient Kalusha als Vorbild für all die, die noch am Anfang stehen. Etwa für Denis Mamadou Cuspert. Er saß wegen Drogenhandels, bewaffneten Raubüberfalls und versuchten Totschlags neun Jahre hinter Gittern. Ein Zellennachbar von Kalusha. Cuspert wurde vergangenen September entlassen, da war er 29 Jahre alt. Jetzt nennt er sich Deso Dogg und sagt: „Texte zu schreiben war für mich im Gefängnis wie Psychotherapie, ein Ventil, Aggressionen abzulassen.“ Aus der Psychotherapie ist ein Job geworden, mit dem er Geld verdient – das er gut gebrauchen kann. Cuspert muss für zwei Kinder sorgen.

„Eine Musikkarriere ist Desos einzige und letzte Chance“, sagt Sami Ben Mansour. Mansour ist Chef des Labels „Mellowvibes“, er nahm Cuspert unter Vertrag. „Wer würde ihm denn bei seiner Vergangenheit einen Ausbildungsplatz oder einen Job anbieten? Niemand.“ Sami Ben Mansour kümmert sich um Cuspert, er protegiert ihn, obwohl das nicht immer leicht ist: Oft kommt der Rapper zu spät zu Studioterminen. Mansour ersetzt den Sozialarbeiter. Er sagt, er habe ein Verantwortungsgefühl gegenüber seinem Freund. Mit dem gegenwärtigen Hype um Knastrapper habe all das nichts zu tun. Trotzdem preist Mansour den einschüchternd muskulösen und großflächig tätowierten Cuspert im Vorfeld seiner Album-Veröffentlichung als „einzig wahren Gangster“ und „Berlins HipHop-Unterwelt-Größe“. In Berlin gibt es viele „einzig wahren Gangster“.

Und wahrscheinlich müssen auch deshalb die Leute von „Ypsilon Records“ ihren Künstler Kalusha irgendwie im Gespräch halten. Vor kurzem verschickten sie eine Pressemitteilung, in der stand, dass Kalusha wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen der Freigang gestrichen worden sei. Es werde jedoch versucht, „ein paar Live-Sessions im Knast mitzuschneiden“.

Das Mitschneiden solcher Sessions scheint indes ganz gut zu klappen. In letzter Zeit erreichen Radiomoderator André Langenfeld immer häufiger Demoband-Zusendungen von Verurteilten, wie die des in Plötzensee einsitzenden Eklatone. Das Demo kam mit der Bitte, sein hinter Gittern aufgenommenes Stück „König von Toytschland“ zu spielen und wenn möglich auch gleich noch eine Nummer zur Kontaktaufnahme anzusagen. „Es gibt bestimmt eine Menge Plattenfirmen, die sich für so jemanden interessieren“, sagt Langenfeld. Ein schlechter Scherz, so der Moderator, sei der Hype um Knast-Rap längst nicht mehr – vielmehr Indikator einer ernüchternden Realität.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen