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Keine neue Männerfreundschaft

Außer Floskeln bot Kanzler Schröder nichts an, auch aus Rücksicht auf seinen Freund Putin. Juschtschenko blieb entschlossen – die Ukraine will in die EU

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Er ist höflich. Sehr höflich. Wiktor Juschtschenko ist ein Gast, wie ihn sich Gerhard Schröder eigentlich nur wünschen kann. Der ukrainische Präsident bedankt sich für den herzlichen Empfang im Kanzleramt und für die freundliche Atmosphäre. Mit keinem Wort und keiner Geste lässt er sich anmerken, was er wirklich von den Ausführungen seines Gastgebers hält, der neben ihm vor den Journalisten steht. Der deutsche Kanzler, das wird schon nach wenigen Minuten klar, hat Juschtschenko wenig anzubieten. Außer Floskeln.

Er empfinde „große Sympathie“ für die Veränderungen in der Ukraine, sagt Schröder. Er werde alles tun, um eine „neue Dynamik“ in den bilateralen Beziehungen zu bringen und die Wirtschaftskontakte auszubauen. Deutschland werde „hilfreich sein bei der Heranführung der Ukraine an die euroatlantischen Strukturen“. Mehr nicht. Kein Wort zu dem ukrainischen EU-Beitrittsbegehren. Kein Wort zu eventuellen Visaerleichterungen für die Ukrainer, die sich Juschtschenko schon vor seinem Besuch öffentlich gewünscht hatte.

Obwohl selbst Unions-Politiker erklärten, dieser Wunsch sei nachvollziehbar, meidet Schröder das Wort „Visa“ wie die Pest. Stattdessen endet Schröder mit der Bemerkung, dass sich die neue Dynamik der deutsch-ukrainischen Beziehungen „gegen niemanden“ wende.

Der Gast weiß, wie alle anderen, wer gemeint ist, und lächelt milde. Der russische Präsident Wladimir Putin, will Schröder damit sagen, soll sich keine Sorgen machen, dass er den rebellischen Nachbarn, den von Putin ungeliebten Juschtschenko, zu sehr unterstützt. Schröder zeigt auch mit seiner Körpersprache, wer ihm wichtiger ist.

Er wahrt eine Distanz, die fast unhöflich ist, vor allem wenn man bedenkt, wie demonstrativ er seine Kumpanei mit Putin bei jeder Gelegenheit zelebriert. Als der russische Präsident kürzlich bei einem gemeinsamen Auftritt mit Schröder deutsche Gegendemonstranten mit dem Hinweis lächerlich machte, der Krieg in Tschetschenien sei doch längst vorbei, hatte der Kanzler dem nichts hinzuzufügen, er fuhr munter fort, mit seinem Gast zu scherzen. Diesmal bricht er die Pressekonferenz schnell ab. Einen Journalisten, der noch etwas wissen wollte, raunzt er an, er hätte sich eben deutlicher bemerkbar machen müssen. Ob ukrainische Pressevertreter vielleicht noch Fragen hätten, spielt keine Rolle. Schröder zieht mürrisch von dannen – und führt den Gast zum Ausgang.

Juschtschenko lässt das alles freundlich über sich ergehen. Seine Gelegenheit, sich in Deutschland deutlich bemerkbar zu machen, kommt noch. Eine halbe Stunde später, im Bundestag, der ihn als Redner eingeladen hat. Diese Bühne wird er nutzen, um zu zeigen, dass er nicht nur höflich sein kann. Vor dem voll besetzten Haus präsentiert sich Juschtschenko selbstbewusst. Sehr selbstbewusst. Ohne große Umschweife kommt er zu den heiklen Punkten, die Schröder vorher entweder ganz aussparte (Visa) oder mit wolkigen Floskeln zu umgehen versuchte (EU-Beitritt).

Natürlich dankt er zunächst für die großartige Unterstützung, als er und seine Mitstreiter um eine faire und freie Wahl kämpften. Nichts habe die Menschen in der Ukraine mehr gerührt als die Bilder von den Orangen im deutschen Parlament. Doch dann macht er klar, dass er die Solidaritäts-Orangen auch als Versprechen wahrnahm. Als Versprechen einer dauerhaften Unterstützung. „Ich will Ihnen in die Augen schauen“, sagt er und redet über die Reiseerleichterungen, die es wenigstens für die ukrainische Jugend, für Studenten und Journalisten geben sollte. Es sei ihm wichtig, das hier anzusprechen, sagt er – und schaut zu Angela Merkel in der ersten Reihe. Sie klatscht.

„Warum soll das denn unmöglich sein?“, fragt Wiktor Juschtschenko über den ukrainischen Beitritt zur EU. „Es gibt, liebe Freunde, nichts Unmögliches.“ Höflicherweise zwingt er die Abgeordneten nicht, allzu lang zu applaudieren. Er geht noch, während sie klatschen.

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