: Das Steppen der Bären
Fast ein bisschen Hollywood Hills: „Eine noble Adresse“ weist den Stadtbezirk Dahlem nicht nur als ehemalige Prominentenadresse nach, es unterhält außerdem durch Lokalpatriotismus und stacheligen Stadtteiltratsch
Und da dachte man immer, der Bär steppt in Prenzlauer Berg, in Mitte, irgendwie sowieso in Charlottenburg, und auch wieder in Kreuzberg. Pustekuchen. Dahlem, der Stadtteil, den viele ausschließlich zum Studieren betreten, hatte früher eine größere Prominentendichte als das Buffet bei der „Goldenen Kamera“. Das Buch „Eine noble Adresse“ erzählt davon: wie sich aus dem Dorf die Villenkolonie entwickelte. Wie die gehobenen Grundstückspreise die reichen BewohnerInnen erfolgreich vor der „Durchmischung mit Proletariern“ bewahrte. Wie sich klassizistische Bauten, Landhäuser, Miniburgen ihren Weg bahnten.
Dazu haben die vier AutorInnen mit dem Dahlem-Fimmel kleine, biografische Anekdoten gestellt, die von berühmten DahlemerInnen erzählen. Max Schmeling (Podbielskiallee 42) absolvierte sein Lauftrainingspensum zwischen Roseneck und Grunewaldsee, der erste weibliche deutsche Filmstar, die Schauspielerin Henny Porten (Bernadottestraße 74) verabschiedete sich wegen ihrer Ehe mit einem Juden von der Karriere im Nazideutschland und blieb bei ihrem Mann. Der Schauspieler Victor de Kowa teilte sein Haus an der Königsmarckstraße 9 mit einem echten Rubens, einem echten Affen und einer Pfeifen- und Pistolensammlung. Uns Hildchen hatte während des Krieges eine Affäre mit dem Reichsfilmdramaturg Ewald von Demandowsky (Gelfertstraße 37), nach dem Krieg, erfahrener und berühmter, kehrte sie als „Ufa-Star Nr. 1“ nach Dahlem zurück und zog mit Mutter und Hunden in die Finkenstraße 11. Der Maler Karl Schmidt-Rotluff bearbeitete original Dahlemer Kieselsteine zu Kunstwerken. Und der Nobelpreisträger Otto Hahn, der über 30 Jahre zusammen mit Lise Meitner an Kernspaltungen forschte, arbeitete am Kaiser- Wilhelm-Institut für Chemie in Dahlem und hatte dabei stets arglos „eine Kiste, die 150 bis 250 kg Uransalz enthielt“, unter dem Tisch stehen.
Natürlich sind es vor allem diese Dönekens, die das Buch lebendig machen – auf eine eigene, provinziellere, sehr deutsche und stachelige Gernegroß-Art erinnert der Stadtteiltratsch sogar an das Klima in den starschwangeren Hollywood Hills, wo sich die Filmstars ebenfalls beim Brötchenholen auf die Füße treten. Wie immer, wenn eine große Portion Lokalpatriotismus sich mit Bewunderung und Geschichte vermischt, kommt die Schwäche für Dahlem ein wenig spießig daher – dabei sind die bunten Leben, die Erfahrungen der frühen Stars genau das Gegenteil. Bei der Buchpräsentation im schnuckeligen Dahlemer Traditions-Kino „Capitol“ sagen die Herausgeber, dass sie noch weit mehr hübsche Geschichten über StadtteilbewohnerInnen gefunden haben, als sich ins Buch pfropfen ließen. Sie erklären auch den zeitlichen Rahmen: Die Prominenten, von denen der Dahlemführer erzählt, leben nicht mehr, man hat sich bei der Auswahl auf das vorletzte Jahrhundert beschränkt. Dabei wäre aktuell auch noch einiges zu holen: Drei Bundespräsidenten (zwei a. D.) wohnen momentan in dem schicken Stadtteil.
Beim Nachhauseweg sieht man zwischen den StudentInnen, den HundeausführerInnen in echtem Pelz, den eleganten Gutgealterten und den mehr oder weniger protzigen Villen immer wieder die Geschichten aufblitzen. Trotzdem, trotz Kintopp, Starlicht und den edlen Häusern: So ein Buch wäre für jeden Stadtteil schön und wünschenswert. Wann gründet sich ein umtriebiger „Freunde Neuköllns“-Verein? JENNI ZYLKA
Harry Balkow-Gölitzer, Bettina Biedermann, Rüdiger Reitmeier, Jörg Riedel: „Eine noble Adresse. Prominente in Berlin-Dahlem und ihre Geschichten“. Bebra Verlag, 186 S., 19,90 €
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